Hilfe zur Selbsthilfe

Von Rainer Beutel.

Mit zwei neuen Selbsthilfegruppen machen die Paritätischen Projekte auf sich aufmerksam. Es geht um Schlaganfallpatienten und Menschen mit bipolarer Störung. Diplompädagogin Annemarie Duscha vom Selbsthilfebüro Groß-Gerau zeichnet bei der Organisation mitverantwortlich. Sie erklärt im Interview mit WIR-Redakteur Rainer Beutel Motive, Ziele und Struktur der neuen Initiativen.

Frau Duscha, was hat Sie bzw. Ihre Mitstreiter dazu bewegt, eine neue Selbsthilfegruppe für Schlaganfallpatienten und deren Angehörige zu gründen?

Annemarie Duscha: Die Idee geht auf zwei etwa zeitgleiche Anfragen im Frühjahr zurück. Eine Frau aus Groß-Gerau hatte einen Schlaganfall erlitten und wollte sich gerne mit anderen Schlaganfallpatientinnen und -patienten austauschen. Als Alleinstehende fühlte sie sich durch den Schlaganfall sehr allein. Der Kontakt zu Freunden war schwieriger geworden, weil sie nicht mehr so mobil war und nicht mehr alles mitmachen konnte. Und sie verspürte auch große Unsicherheit, weil sie sich fragte, ob sich Ihr körperlicher Zustand wieder bessern würde oder eben auch nicht. Etwa zeitgleich fragte eine Angehörige bei mir an, weil sie sich gerne mit anderen Pflegenden austauschen wollte. Sie war von heute auf morgen in die Situation gekommen, Fachfrau für alle Fragen rund um die Versorgung ihre Ehemanns sein zu müssen, der durch einen Schlaganfall auf Hilfe angewiesen war.

Was sind die wichtigsten Ziele und Erwartungen, die mit dieser neuen Selbsthilfegruppe verbunden werden?

Annemarie Duscha: Das Ziel ist ganz klar, Menschen aus der Isolation herauszuholen und miteinander in Kontakt zu bringen. Egal, ob man gepflegt wird oder die pflegende Person ist.

Schildern Sie bitte die Umstände näher.

Annemarie Duscha: Das geht immer damit einher, dass sich der Alltag hauptsächlich in den eigenen vier Wänden abspielt oder bei Beratungsstellen und medizinischen Versorgungseinrichtungen. Auch wenn Familie und Freunde zu Dir halten und Dich unterstützen – sie können nicht alles abnehmen. Und Betroffene möchten die Hilfe auch nicht überstrapazieren oder ihrem Umfeld unangenehme Gefühle zumuten. Wer von einer Pflegesituation selbst betroffen ist, kann verstehen, dass auch mal heftige Gefühle aufkommen. Von jemandem, der selbst betroffen ist, fühlt man sich nicht verurteilt und kann auch mal aussprechen, was man sich sonst vielleicht aus Rücksichtnahme nicht zu sagen traut. Ein weiteres Ziel ist, dass man sich mit Tipps zum Versorgungssystem weiterhelfen kann. Viele Betroffene sind ja über Nacht damit konfrontiert und kennen sich nicht gut aus.

Wie sieht die praktische Unterstützung innerhalb der Gruppe konkret aus?

Annemarie Duscha: Die Treffen werden in barrierefreien Räumen stattfinden, so dass sowohl Betroffene als auch Angehörige kommen können. Wir möchten in zwei separaten Räumen einen Austausch der Betroffenen und parallel dazu einen Austausch der Angehörigen anbieten. Es geht um die Gründung einer Selbsthilfegruppe, also soll es langfristig selbstorganisiert laufen. 

Gibt es dennoch von Ihrer Seite Unterstützung?

Annemarie Duscha: Ja, am Anfang unterstütze ich bei der Organisation der Räumlichkeiten und der ersten Treffen. Ich habe dabei Hilfe von meinem ehrenamtlichen Team. Wenn sich die Gruppe gefunden hat, werden die Treffen dann in Eigenregie stattfinden. Ich bleibe aber eine Ansprechpartnerin zu allen Fragen rund um die Gruppenarbeit.

Wie werden Selbsthilfegruppen unter dem Dach der Paritätischen Projekte generell organisiert und begleitet?

Annemarie Duscha: Selbsthilfegruppen sind an sich selbstorganisiert. Das bedeutet: Sie arbeiten eigenverantwortlich; es sind nicht „unsere“ Gruppen. Wir bieten ihnen aber Unterstützung bei allen Fragen rund um die Gruppenarbeit und bilden eine Schnittstelle zu Interessierten, die eine Gruppe suchen. Außerdem vernetzen wir die Gruppen mit dem Hilfesystem und machen Öffentlichkeitsarbeit. Wenn eine Gruppe entstehen soll, dann helfen wir bei der Pressearbeit, finden Räumlichkeiten und unterstützen am Anfang bei der Moderation.

Geplant ist außerdem eine Selbsthilfegruppe für Menschen mit bipolarer Störung. Was war der Auslöser?

Annemarie Duscha: Auch hier geht die Gründung auf die Initiative einer Betroffenen zurück. Sie lebt schon lange mit der Erkrankung und kann damit inzwischen gut ihren Familienalltag meistern. Die Gruppe möchte sie einerseits als Baustein für sich selbst haben, um sich im Umgang mit der Erkrankung weiterzuentwickeln. Gleichzeitig geht es hier aber auch darum, aus der Perspektive langjähriger Erfahrung anderen etwas aus dem Erfahrungsschatz mitzugeben. 

Welche besonderen Herausforderungen sehen Sie?

Annemarie Duscha: Wie auch bei anderen Gründungen im Bereich psychischer Erkrankungen ist es wichtig, dass für Betroffene klar ist: Sie finden hier keinen Therapieersatz. Für die Teilnahme an der Gruppe ist es Voraussetzung, dass man sich parallel therapeutisch helfen lässt. Weil eine bipolare Störung mit großen Stimmungswechseln einhergeht, wird die Gruppe auch Vereinbarungen zur Teilnahme treffen und sich verständigen, wie miteinander in den verschiedenen Phasen der Erkrankungen umgegangen werden soll. Im Prinzip geht es auch hier darum, dass Menschen mit ihrer Situation nicht allein bleiben und sich mit Gleichbetroffenen vernetzen, um Verständnis zu erfahren und ihren Wissensschatz zur Erkrankung zu erweitern.

Wie sieht ein typischer Ablauf einer Gruppensitzung aus?

Annemarie Duscha: Den gibt es eigentlich nicht. Jede Gruppe ist anders und entscheidet, wie oft man sich trifft, wie lange und was vor Ort geschieht. Viele Gruppen starten aber ihre Treffen mit einer Eingangsrunde, verständigen sich dann auf die Themen des Tages und zum Ende gibt es auch nochmal eine Runde, damit alle die Möglichkeit haben, sich einzubringen. Die meisten Gruppen kommen ein bis zweimal im Monat für circa zwei Stunden zusammen.

Wie können sich Betroffene oder Angehörige, die sich für eine Teilnahme interessieren, an Sie bzw. Ihr Büro wenden und wie läuft die Aufnahme in die Gruppe ab?

Annemarie Duscha: Man kann sich bei mir telefonisch oder per Mail melden und sich anmelden bzw. Fragen stellen, wenn etwas unklar ist. Wenn ein persönliches Gespräch gewünscht ist, machen wir einen Termin aus. Meist braucht es das aber gar nicht. Die Interessierten bekommen von mir eine Einladung zum ersten Treffen und dann sehen wir uns vor Ort. Wer später zu einer Gruppe dazukommt, kann manchmal auch direkt Kontakt zu Ansprechpersonen aus der Gruppe aufnehmen und einen Termin zum Reinschnuppern ausmachen.

Was motiviert Sie und Ihr Team ganz persönlich jeden Tag zur gemeinnützigen Arbeit hinter den Kulissen?

Annemarie Duscha: Alle Menschen, die ich durch meine Arbeit kennenlerne, sind freiwillig da. Sie haben es nicht leicht, weil sie schwer erkrankt sind oder in komplizierten Lebenssituationen stecken. Trotzdem geben sie nicht auf und suchen nach einem guten Weg für sich. Dahinter stecken viel Energie, eine positive Haltung und oft auch eine gute Portion Humor. Es ist schön zu sehen, wie Menschen neue Kontakte knüpfen und wie gut ihnen das tut. Ich lerne dabei jeden Tag etwas Neues!

Und welche Ziele verfolgen Sie für die Weiterentwicklung der Paritätischen Projekte in Groß-Gerau?

Annemarie Duscha: Für unser Selbsthilfebüro hoffe ich, dass wir unser Raumangebot verbessern können: Mit mehr Gruppenräumen, einem barrierefreien Zugang und einem behindertengerechten WC. Inhaltlich möchten wir gerne die Pflegeselbsthilfe stärken. Hier gibt es für Kontaktstellen und Selbsthilfegruppen Fördermöglichkeiten, die aktuell noch nicht ausgeschöpft werden. Ich habe dazu auch bereits Kontakt zum Landkreis aufgenommen, denn wie so oft hängt die Förderung davon ab, dass sich auch die Gebietskörperschaft beteiligt. Wie wir wissen, ist das in der momentanen Situation schwierig. Wir bleiben aber dran.

Können Sie bitte abschließend erklären, wie die Finanzierung und Ausstattung der paritätischen Selbsthilfestruktur gesichert wird und wo interessierte Gruppen Unterstützung finden?

Annemarie Duscha: Unser Selbsthilfebüro wird zum Teil aus Mitteln der GKV-Selbsthilfeförderung, also durch Versichertenbeiträge finanziert. Der andere Teil kommt vom Landkreis und dem Land Hessen. Manchmal bekommen wir Spenden, aber das ist eher selten. Obwohl wir aktuell Unterstützung bei der Anschaffung eines Treppenlifts für den Zugang zu unserem Treffpunkt gebrauchen könnten. Da fehlt uns die Finanzierung, weil man auch bei Förderprogrammen immer Eigenmittel haben muss, die wir aber als gemeinnützige Organisation nicht erwirtschaften können. Wenn Selbsthilfegruppen aus dem Gesundheitsbereich finanzielle Unterstützung brauchen, z.B. für Raummieten oder Flyer, dann können Sie dafür bei der GKV-Selbsthilfeförderung in Hessen Gelder beantragen. Dazu findet man Infos bei der Selbsthilfeförderung

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