Das Ende der Erzählung

Von Ulf Krone.

Erzählungen bringen eine Gemeinschaft hervor. Storytelling hingegen bildet nur eine Community als Warenform der Gemeinschaft.

Die Community besteht aus Konsumenten. […] Mittels Storytelling eignet sich der Kapitalismus die Erzählung an. Er unterwirft sie dem Konsum. […] Sie (die Information, Anm. d. Red.) ist kein Sinnträger, während die Erzählung Sinn transportiert. Sinn heißt ursprünglich Richtung. Wir sind also heute bestens informiert, aber orientierungslos. […] Heute erzählen wir uns im Alltag immer weniger Geschichten. Die Kommunikation als Informationsaustausch bringt das Geschichtenerzählen zum Erliegen.“ (Byung-Chul Han)

Die sich aktuell überall rund um den Erdball zeigende Krise der Menschheit ist eine Krise des Erzählens, die aus dem allmählichen Verschwinden der Erzählung, sprich: einer Richtung, erwächst. Dies ist Kern und Ausgangspunkt der Arbeit „Die Krise der Narration“ Byung-Chul Hans, der darin auch den Ursprung für die Überforderung der Menschen sowie für fehlende Empathie sieht. Denn die Erzählung wurde durch Informationen ersetzt, „Erzählung und Information sind Gegenkräfte“, und die Information hat längst die Oberhand gewonnen.

„Geschichten verbinden die Menschen miteinander, indem sie das empathische Vermögen fördern. Sie bringen eine Gemeinschaft hervor. Der Verlust der Empathie im Zeitalter des Smartphones ist ein beredtes Zeichen dafür, dass es kein Erzählmedium ist.“ Im Gegenteil: Das Smartphone ist bloß ein Kanal, ein Verteiler einer Flut an Informationen, die laut Byung-Chul Han den Augenblick ihrer Kenntnisnahme nicht überdauern. Das liegt vor allem daran, dass es so viele sind, wir werden tagtäglich überflutet mit Informationen. Und natürlich ist es völlig unmöglich, sich mit all jenen Informationen seriös zu beschäftigen, so dass diese zumeist nackte Informationen bleiben und nie zu Geschichten werden, also keine Richtung erhalten. Und deshalb können wir auch keine emotionale Verbindung zu ihnen aufbauen, keine Empathie entwickeln.

„Wir sind gegenwärtig vom Informations- und Kommunikationsrauch benommen. Dabei sind wir nicht mehr Herr der Kommunikation. Vielmehr setzen wir uns dem beschleunigten Informationsaustausch aus, der sich unserer bewussten Kontrolle entzieht.“ Der unreflektierte Gebrauch der mobilen Endgeräte stürzt uns letztlich in einen „Aktualitätstaumel“, der auch unsere Wahrnehmung der Zeit beeinflusst. Die Vergangenheit ist nicht länger aktuell und daher nicht mehr wirksam, während die Zukunft nur das nächste Update, die nächste Aktualisierung meint.

Vom Erzähler, einem visionären Wesen, das einer Richtung folgt, sind wir zum reinen Problemlöser geworden, und davon hat sich besonders auch die Politik anstecken lassen. Es werden nur noch Probleme gelöst, doch es gibt keine Geschichte, keine Erzählung mehr, die eine Richtung vorgibt. Damit gehen aktuell bloß die radikalen Ränder auf Stimmenfang, indem sie das Bedürfnis nach einer Richtung mit ihren einfachen, rassistischen und ganz allgemein stets ausgrenzenden Heilsgeschichten befriedigen. Dem müssen dringend wieder positive Erzählungen entgegengesetzt werden!

„Das Leben ist mehr als Problemlösen. Wer nur Probleme löst, hat keine Zukunft. Erst die Erzählung eröffnet die Zukunft, indem sie uns hoffen lässt.“

Ulf Krone
ist Redakteur beim WIR-Magazin
und studierter Philosoph;
ulf.krone@wir-in-gg.de

Literaturhinweis: Byung-Chul Han, Die Krise der Narration, Matthes & Seitz Berlin, 2023, 100 Seiten

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