Der Weg in die Diktatur

Von Siggi Liersch.

Es dauerte Jahre bis sogar Jahrzehnte, bis die Nationalsozialisten schalten und walten konnten, wie es ihnen passte. Aber es ist schockierend, dass die rechtliche Ausgangslage tatsächlich in nur einem Monat geschaffen wurde. In wenigen Wochen wurde aus einem demokratisch geprägten Staatsgebilde eine handfeste Diktatur. Mit der Lektüre dieses Buches von Uwe Wittstock wandern Sie zurück in den Februar 1933.

Genauer gesagt, beginnt die Zeitrechnung dieses Bandes bereits am Samstag, dem 28. Januar. Der letzte Samstag im Januar gehört dem Presseball. Seit Jahren ist diese Festivität Berliner Tradition. Wittstock führt mit Carl Zuckmayer, einen auch noch heute bekannten Literaten, in das Geschehen rund um den mondänen Presseball ein. Er erzählt eine Chronik, in der man von Tag zu Tag verfolgen kann, wie das quirlige, aber auch glanzvolle literarische Leben nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler durch Hindenburg in der Weimarer Republik in wenigen Wochen einer starren völkischen Gleichschaltung weicht. Anhand von literarischen Dokumenten, Tagebuchaufzeichnungen sowie Sachuntersuchungen erzählt Wittstock die packende Geschichte einer beängstigenden Verwandlung. Viele der aufgeführten Schriftsteller und Künstler sind heute dem Vergessen anheimgefallen und konnten sich nach erfolgreicher Flucht in den jeweiligen Ländern mit ihren deutschen Texten und ihrer deutschen Sprache nicht mehr durchsetzen. Es musste schon ein Thomas Mann sein, der selbstbewusst von sich behauptete, dass dort, wo immer er sich auch befände, die deutsche Kultur sei. Selbst ein Bertolt Brecht krebste in Amerika am Existenzminimum herum und auch Heinrich Mann, einer der berühmtesten Schriftsteller der Weimarer Republik, war auf finanzielle Hilfen seines Bruders Thomas angewiesen.

Wittstock erzählt Schicksale, die auch für die Literaten in Deutschland in die Katastrophe führen.

Und es finden sich die unterschiedlichsten Verhaltensweisen. Manche sind davon überzeugt, dass der Nazi-Spuk in wenigen Wochen vorüber sein werde, manche reisen Hals über Kopf ab, einige gehen in die innere Emigration, andere nehmen nur mit, was in einen Koffer passt. Das alles schildert Wittstock sehr anschaulich und man hat immer das Gefühl, dass er nahe an der Wahrheit entlangerzählt.
Geprägt von Angst und Selbsttäuschung, von Entschlossenheit, aber auch lethargischer Passivität sind die Künstler der Weimarer Republik uneins, wie sie sich gegen die drohenden Einschränkungen wehren oder gar gezielt vorgehen könnten. Für Diskussionen ist kein Raum mehr, das freie Wort wird von den Stiefeltritten der SA zu Brei getreten. Nun im Februar 1933 ist alles zu spät. Hätte man früher mit dem Widerstand beginnen sollen? Hat man die sich entwickelnde Lage nicht ständig unter- oder zumindest falsch eingeschätzt? Nachdem Hitler ab Februar 1933 immer fester im Regierungssattel sitzt, sind alle Fragen müßig und jeder, der auch nur die kleinsten satirischen Pfeile in Richtung Nationalsozialismus abgeschossen hat, muss nun um sein Leben und seine Gesundheit bangen. Wenn die Feinde der Demokratie erstmal obenauf sind, werden sie diese Position so schnell nicht mehr verlassen. Und wir? Welches Fazit ziehen wir daraus? Gibt es unter uns genügend Wachsame, die bereit sind, die Demokratie auf Dauer zu stärken?

Uwe Wittstock,
Februar 33 – Der Winter der Literatur
C.H.Beck, 2021, 288 Seiten mit 30 Abbildungen, 24,– Euro

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