Dichter der Liebe und des Lichts

Von Siggi Liersch.
Lawrence Ferlinghetti erreichte ein biblisches Alter: Er wurde 101 Jahre alt (1919–2021). Er schrieb Gedichte, gründete in den Fünfzigern den Verlag City Lights in San Francisco und einen Buchladen unter dem gleichen Namen. Er veröffentlichte Bücher der legendären Beatgeneration, deren Hauptvertreter Jack Kerouac, William Burroughs und Allen Ginsberg waren.
Von letzterem publizierte er das berühmte Geheul (Howl), ein Langgedicht, das schonungslos das Amerika der Fünfziger aus der Sicht eines Underdogs porträtiert. Dieser Text beginnt mit den Versen „Ich sah die besten Köpfe meiner Generation zerstört vom/ Wahnsinn, ausgemergelt hysterisch nackt“. Wie Ginsberg schaut auch Ferlinghetti in seinen Gedichten genau hin. Bereits in den Achtzigern erschienen zwei Sammlungen seiner Lyrik in den renommierten Verlagen Hanser und Diogenes. Eine neue Auswahl seiner Gedichte publizierte 2023 Schöffling & Co., einem Verlag, der mit einem starken Lyrikanteil auf dem deutschen Buchmarkt vertreten ist. Ron Winkler hat die Texte aus Ferlinghettis Gesamtwerk ausgewählt und in einer Art und Weise übersetzt, der man ansieht, dass hier nicht einfach ein Übersetzer an der Arbeit war, sondern einer, der selbst sehr erfolgreich Gedichte schreibt und bereits mehrere Lyrikbände veröffentlicht hat. Winkler hat dem Werk Ferlinghettis Texte zwischen 1958 und 1984 entnommen. Er beginnt mit einer Auswahl aus dem durchschlagenden Erfolg „A Coney Island of the Mind“, der eine Millionenauflage erreichte. Die Gedichte sind voller Musik und unbändiger Träume über Liebe, Freiheit und einem Amerika, das der Einwanderersohn von New York bis zu Kaliforniens Big Sur sein Leben lang dichtend bereiste. Zugleich fängt er in einem turbulenten Assoziationsstrom das Lebensgefühl seiner Generation ein. Man könnte viele Beispiele nennen, die die unterschiedliche Herangehensweise diverser Übersetzer verdeutlichen.
Ferlinghetti hat Langgedichte geschrieben, in denen er auf verblüffende Weise Dinge und Situationen, Menschen und Beziehungen miteinander in Verbindung setzt, die so noch nicht unter einen Hut gebracht wurden. Und damit erreicht er eine lyrische Form, die es sich erlauben kann, über alle Dinge und Verhältnisse dieser Welt in einer höchst realistischen Form zu träumen oder auch mit Träumen der realen Welt Paroli zu bieten. Ferlinghetti hat Gedichte geschrieben, die es wert sind, vor jeder Bundestagssitzung laut verlesen zu werden, um ein menschliches Miteinander in den anschließenden Diskussionen zu gewährleisten und Ron Winkler hat sie kongenial übersetzt. Wenn Sie jetzt meinen, das würde Gedichten eine viel zu große Bedeutung beimessen, dann lesen Sie Ferlinghetti in der Übersetzung von Ron Winkler!
