Halli-Galli von 8 bis 22 Uhr

Von Rainer Beutel.

Wir rollen an einem Samstagmorgen in einem Land Rover fast mit Schrittgeschwindigkeit über einen planierten Feldweg. Es geht in der Nauheimer Gemarkung Richtung Hegbachsee. Genauso könnten wir im Wald von Groß-Gerau unterwegs sein. Oder in Trebur. Egal wo, Horst Herdt käme aus dem Kopfschütteln nicht mehr raus.

Horst Herdt ist Vorsitzender des Hegerings Groß-Gerau. Die Organisation umfasst 15 Jagdreviere, die zum Kreisjagdverein zusammengeschlossen sind. Genauso oder zumindest so ähnlich sehen gleichrangige Organisationen in anderen Bundesländern aus. Eine Aufgabe ist die Kontrolle der Reviere. Und das ist der Grund, warum der Hegeringleiter seine Frustration nicht immer zurückhalten kann, selbst wenn er sich größte Mühe gibt.

Gefühlt alle 250 Meter passieren wir Spaziergänger mit Hunden. Nicht selten sind sie mit gleich zwei oder drei Vierbeinern unterwegs. Treffen wir keine Menschen und Tiere, die gemütlich zu Fuß die ersten Sonnenstrahlen auskosten oder sich fit trimmen, sind es Radfahrer. Auch die treten gerne in Scharen auf, und niemand vergönnt den Menschen ihren Freizeitspaß.

„Das wäre alles kein Problem“, sagt Horst Herdt, wenn sich die Naturliebhaber an gewisse Regeln halten würden. Die Wichtigste ist seiner Meinung nach: Nur die Wege nutzen. Nicht abseits durch die Botanik wetzen oder quer durch den Wald flanieren. Denn so sehr das Freizeitvergnügen gerade jetzt mit Beginn des Frühlings lockt, so unangenehm und problematisch ist dieses Verhalten für das Wild, sagen Jäger. Die Logik ist nicht von der Hand zu weisen: Die Tiere im Wald und auf Feld und Flur brauchen Ruhe. Kriegen sie diese nicht, weil sie von Menschen und vor allem freilaufenden Hunden aufgeschreckt werden, kommt es zu Panikreaktionen. Das Wild flüchtet blindlings und rennt über stark befahrene Straßen. Unfälle sind programmiert.

„Von 8 bis 22 Uhr ist hier Halli-Galli“, klagt Herdt. Auch nachts sei allerhand los, nur weil im Wald irgendwelche Partys gefeiert werden oder Müll abgekippt werde. Weil der Druck auf das Wild zunehme, sei es normal geworden, dass Wildschweine immer öfter an die bebaute Ortslage ran rückten. Der Hegeringleiter fährt unweit der Ortsrandbebauung an einem Feld vorbei und zeigt, wie uneben es ist. „Die Säue fressen den Mais oder durchwühlen den Boden. Sogar von Groß-Gerauer Gebiet dränge es die Tiere Richtung Nauheim. Die Schäden seien immens. Landwirte verlangen vom Hegering vierstellige Entschädigungen pro Jahr.

Herdt will nicht missverstanden werden. Er hat nichts dagegen, dass die Leute ihre Freizeit in der freien Natur verbringen. Es wäre aber sinnvoll, wenn das alles nicht überhand nehmen würde. Es sei im gesamten Kreis wie in Nauheim. Verständnis für die Sicht der Jäger, die auf ein Gleichgewicht von Mensch, Natur und Tier achteten, gebe es kaum. Hier hagele es Kritik, wenn eine Population auftragsgemäß dezimiert werde, dort hörten Aufseher wie er bisweilen unflätige Worte, wenn Menschen angesprochen und auf ihr Fehlverhalten hingewiesen würden.

Was wäre die Lösung? Der 65-Jährige zuckt mit den Achseln. Er hat kein Patentrezept, aber versichert, sein Bestes zu geben. Es sei ein Kampf gegen Windmühlen. Die Folgen seien gravierend. Immer häufiger werde Rehwild beispielsweise auf der Strecke zwischen Nauheim und der Kreisstadt totgefahren. Mittlerweile betrage der Verlust durch verunfalltes Wild 50 Prozent der für den Abschuss freigegebenen Zahl. Jedes Jahr entstünden neue Trampelpfade mitten durch die Wälder im Kreisgebiet. Die Natur komme nicht mehr zur Ruhe. Hunde würden nicht angeleint, Konflikte seien unausweichlich, klagt Herdt. 

Nach einer Revierfahrt erreichen wir einen Seitenweg der L 3482. Dort parken am frühen Samstagmorgen fast 20 Pkw. Alles ist voller Menschen und Hunde. Die Ausflügler haben gerade die Autos verlassen und freuen sich offenbar, so ein schönes Plätzchen gefunden zu haben. Horst Herdt rollt langsam an der Schar vorbei. Und fährt weiter. Er sagt keinen Ton. Nur seinen Kopf schüttelt er. Was wir antreffen sind die Mitglieder eines Hundesportvereins aus dem Mainz-Wiesbadener Raum. Sie ziehen gleich durch den Nauheimer Wald. Heute ist Ausflugstag im Kreis Groß-Gerau.

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