Fan der Schnapplüftung

Leserbeitrag von Dietmar Zellner.

In der Ausgabe Nr. 303 des WIR-Magazins findet sich ein Interview mit Herrn Landrat Will, das diesem gestattet, an ihn gestellte Fragen mit Allgemeinplätzen ohne konkrete Sachinformationen zu beantworten. Leider sind kritische Fragen zu bisherigem Tun bzw. Nichtstun unterblieben, so dass inhaltsleere Sätze im Raum stehen bleiben.

Immerhin hat Herr Landrat Will in dem Plauschinterview eingeräumt, dass es im Kreis Groß-Gerau u.a. in Alten- und Pflegeheimen sowie in Schulen zuletzt verstärkt zu Infektionen gekommen ist: „Ende Februar, Anfang März erlangte der Kreis Groß-Gerau eine unrühmliche Spitzenposition bei den Corona-Infektionszahlen. Für unsere Region wurde der höchste Inzidenz-Wert aller Kreise in Hessen ausgewiesen. …. Als Ursache wurden vom Gesundheitsamt und Kreispresseamt zahlreiche Ansteckungen in Seniorenheimen, Betrieben und jüngst auch in Schulen genannt“.

Wie konnte es dazu kommen? Ist nicht bereits seit einem Jahr bekannt, dass die Bewohner der Alten- und Pflegeheime besonders schutzbedürftig sind? Ist ebenfalls nicht bekannt, dass in Tübingen Frau Dr. Lisa Federle deshalb bereits seit einem Jahr in diesem Bereich testet? Das Ergebnis sind besonders niedrige Inzidenzwerte und Todesfälle an und mit Corona Erkrankten in Tübingen. Bereits im Oktober 2020 erhielt sie für ihr für Bevölkerung und deren Gesundheit segensreiches Wirken das Bundesverdienstkreuz am Bande.

Was hat in Kenntnis dieser Tatsachen Herr Landrat Will unternommen? Was ist mit dem „Tübinger Weg“, den es dort schon seit Herbst 2020 mit deutlich niedrigeren Infektionszahlen als in Groß-Gerau infolge des aktiven Handelns eines Herrn Palmer gibt? Der Kreis GG sieht sich laut öffentlicher Mitteilung vom 11. Februar 2021 nun auch, rund ein halbes Jahr später, „Auf den Spuren des „Tübinger Wegs“. Und neben dem Modell Tübingen gibt es weitere, so z.B. das des Herrn Oberbürgermeister Madsen. Warum gilt in der Politik nicht das Prinzip „Best Practice“, sondern das eines phrasenbegleiteten Nichtstuns? Warum ist nicht auch Herr Landrat Will aktiv?

Aktivitäten verspricht Herr Landrat Will zumindest für die Zukunft mit einem Meilenstein, der „Schulbauinitiative“, wenn er im WIR-Interview sagt: „…Kreishaushalts. Dort haben wir die nächsten Meilensteine gesetzt: Dazu gehören die Schulbauinitiative, in die wir fast 500 Millionen Euro investieren“. Offensichtlich wurde in diesem Bereich bislang nichts oder zu wenig getan. Dies zeigt sich besonders deutlich, wenn in einer offiziellen Verlautbarung des Kreises Groß-Gerau im November 2020 unter dem Titel „Lüften geht vor Lüfter“ ein Lüftungskonzept für die Schulen vorgestellt wird. In diesem ist von „Luftschnapppausen und Stoßlüften“ die Rede, das allemal effektiver sei als eine moderne Lüftung der Klassenräume. Vorbild scheint die Bundeskanzlerin zu sein, die, sollte es zu kalt werden, zu Kniebeugen und in die Hände zu klatschen rät. Das habe man in der DDR auch so gemacht …

Obwohl eine optimale Belüftung von Unterrichtsräumen schon lange vor der Pandemie als besonders wichtig erkannt worden ist, gibt es heute gerade einmal in 10 % der 18.000 Schulen in Deutschland überhaupt eine technische Anlage, die sicherstellt, dass sauerstoffreiche Frischluft zugeführt und mit CO2 angereicherte, „verbrauchte Luft“ ausgeleitet werden. Alle Schulen entsprechend auszustatten, erfordert Investitionskosten von eine Milliarde Euro, Geld, das nicht vorhanden ist.

Auch im Kreis Groß-Gerau war hierfür offensichtlich kein Geld vorhanden und dies auch nicht, als es zum Schutz des Lehrpersonals und der Schüler dringend einer entsprechenden Aufrüstung bedurft hätte. Der sog. Meilenstein einer Schulbauinitiative mit einer Investitionssumme von „fast 500 Millionen Euro“ wird hieran nichts ändern, es sind nur Worte, völlig unverbindlich und fern jeder konkreten Zusage. Wäre zumindest der ernsthafte Wille zu einer Verbesserung des baulichen Zustands der Schulen einschließlich moderner Lüftungssysteme vorhanden, so hätte Herr Landrat Will zumindest konkrete Maßnahmen angesprochen statt im Ungefähren zu bleiben. So wird er wohl auch in Zukunft bekennender Fan der „Schnapplüftung“ bleiben, die den Lüftern vorzuziehen sei.

Ein weiteres Beispiel für substanzlose Worte ist die Überschrift der Verlautbarung des Kreises Groß-Gerau vom 10.September 2020 „Wir dürfen nicht zu sorglos sein“ und die vom 18.03.2021 „Kreis geht mit gutem Beispiel voran – Kostenlose Schnelltests für Mitarbeiter. Im ersten Beitrag geht es darum, dass sich die Bürger an die allgemeinen Corona-Regeln und im privaten Umfeld die Kontakte möglichst geringhalten. Der Bürger hat es also zu richten, der Kreis bleibt passiv und schaut zu.

Im zweiten Beitrag soll der irrige Eindruck vermittelt werden, ein einmaliger Schnelltest pro Woche generiere irgendeinen Nutzen. Hätte sich Herr Landrat bei „seinem“ Gesundheitsamt erkundigt, hätte man ihm dort sicherlich gesagt, dass es hierzu mindestens drei Tests in der Woche bedarf. Dies gilt auch für Schulen, in denen hierzulande zum Teil überhaupt noch nichts angekommen ist. Nur zur Erinnerung: In Österreich werden bereits seit Monaten Lehrer und Schüler mehrmals die Woche getestet, seit März 2021 verpflichtend 3 Mal in der Woche.

So sieht verantwortungsbewusstes politisches Handeln aus. Was tut sich im Vergleich hierzu im Landkreis Groß-Gerau? Aus meiner Sicht hätte das Interview mit Herrn Landrat Will die Möglichkeit gegeben, fehlendes Handeln und Versäumnisse anzusprechen. Herr Landrat Will hätte dem entweder durch Hinweis auf bislang nicht bekanntes Handeln widersprechen können oder dem Leser gezeigt, da ist nichts außer Worten. Vielleicht verbittet sich Herr Landrat Will aber auch derartige Fragen.

Kontakt zu Dietmar Zellner: stivesph@web.de