Kapitalismus als Religion

Von Ulf Krone.

Was den spekulativen Kapitalismus als abstraktes invasives Erfolgsprogramm angeht, so wird man seine aktuellen Exegeten auffordern müssen zu beweisen, daß sie keine Anhänger einer global agierenden Sekte sind; der Verdacht gegen den `Kapitalismus als Religion´ ist ausgesprochen und wartet auf Klärung.“ (Peter Sloterdijk)

Diese Zeilen schrieb der deutsche Philosoph, Kulturwissenschaftler und Publizist Peter Sloterdijk Anfang des Jahrtausends in seinem 2006 bei Suhrkamp erschienenen Buch „Im Weltinnenraum des Kapitals“, in dem er die historische Entwicklung von Kapitalismus und Globalisierung philosophisch nachzeichnet.

16 Jahre später muss man konstatieren, dass sich der von Sloterdijk und anderen geäußerte Verdacht nur weiter verhärtet hat, eine Klärung scheint inzwischen ausgeschlossen. Der Kapitalismus des ewigen Wachstums sowie der unregulierten, zügellosen Märkte mit ihren alles ausbalancierenden Marktkräften, dieser Kapitalismus ist tatsächlich eine Religion! Man muss daran glauben. Mit Logik und Vernunft ist nicht zu erklären, weshalb es möglich sein sollte, mit Nahrungsmittelpreisen spekulieren zu dürfen, oder mit Rohstoffen. Weder fachlich noch gesellschaftlich oder moralisch lässt sich begründen, weshalb etwa ein Manager, der Verwalter einer wirtschaftlichen Einheit, also letztlich ein Wirtschaftsbürokrat, ist, ein Vielfaches von dem verdient, was eine Pflegekraft, ein Busfahrer oder ein Rettungssanitäter am Ende des Monats bekommt. Vom Umstand, dass Frauen für dieselbe Arbeit oft immer noch weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen, ganz zu schweigen.

Da verwundert es auch nicht, dass der Weltinnenraum des Kapitals, wie Sloterdijk schreibt, sprich: der Raum der unbegrenzten globalisierten kapitalistischen Möglichkeiten, nur einem kleinen Teil der Menschheit offensteht, namentlich und hauptsächlich den Bewohnern der Industrienationen der Nordhalbkugel. Der globale Süden, mit Ausnahme von Australien und Neuseeland, sowie große Teile Asiens stehen dagegen draußen vor den gläsernen Wänden. Dank der modernen Medien wissen sie, wie es im Inneren aussieht, doch hinein können sie nicht. Denn sie haben den falschen Pass.

Allerdings wächst die Ungleichheit auch im Inneren, die Strukturen erodieren. Der entfesselte Kapitalismus nagt allerorten an den Resten einst selbstbewusster Demokratien. Wladimir Putin ist es möglich, mit Hunger und der Angst vor einem kalten Winter Krieg zu führen, Elon Musk darf sich mit Twitter ein globales Meinungsmonopol kaufen und Olaf Scholz in Schröderscher Basta-Manier Anteile heimischer Infrastruktur an einen chinesischen Staatskonzern veräußern und Deutschland damit weiter in die Abhängigkeit von der nächsten Diktatur – nach Russland – führen. Einen Ausweg erkennt Sloterdijk im Lokalismus, in dem Aufgaben vor Ort erkannt, gelöst und die Lösungen überprüft werden, bevor diese hinaus in die Welt getragen werden.

Die res publica funktioniert nur als ein Parlament der Ortsgeister

„Die res publica funktioniert nur als ein Parlament der Ortsgeister. Bürgergesellschaften verwahrlosen schnell, wenn sie den durchreisenden Ideologen und Sektenführern in die Hände fallen […]. Die totalitären Konzeptpolitiker des 20. Jahrhunderts haben demonstriert, bis wohin die Machtübernahme phantomhafter Programme auf Kosten der […] bürgerlichen Ortsgeister binnen weniger Jahre führen kann.“

Wir sind also gewarnt. Auch die Kämpfer für einen unregulierten globalen Kapitalismus sind Ideologen. Eines sollten wir allerdings nie vergessen: Der Kapitalismus ist, wie so viele andere Dinge auch, eine Erfindung des Menschen, von uns selbst, und wir können die Spielregeln jederzeit wieder ändern, wenn wir wollen.

Ulf Krone
ist Redakteur beim WIR-Magazin;
ulf.krone@wir-in-gg.de

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