Keine einzelnen Kirchenvorstände

Von Rainer Beutel.

Gisela Kögler ist seit Frühjahr 2021 Vorsitzende der Dekanatssynode. Sie ist daher stark involviert in einen Erneuerungsprozess, den die Evangelische Kirche Hessen-Nassau „EKHN-2030“ nennt. Im Interview mit WIR-Redakteur Rainer Beutel beschreibt sie, wie weit das Dekanat Groß-Gerau-Rüsselsheim damit gekommen ist, welche Aufgaben noch zu leisten sind und was das alles für die Gläubigen bedeutet.

Frau Kögler, wie weit ist der Reformprozess „EKHN 2030“ im hiesigen Dekanat vorangeschritten?

Gisela Kögler: Wir sind, wie man so schön sagt, zeitlich gut im Plan. Unsere Synode hat im vorletzten Herbst unsere sechs Nachbarschaftsräume (NBR)  beschlossen. Das heißt, unsere über 30 Kirchengemeinden wurden in diese NBR eingeteilt. Die Größe der NBR bemisst sich an der Mitgliederzahl, aber auch an sozialräumlichen Zusammenhängen. Und so kommt es, dass sie räumlich unterschiedlich groß sind. So ist der NBR um Groß-Gerau herum mit acht Kirchengemeinden, die mittlerweile zum Teil fusioniert sind, recht groß, während der NBR im südlichen Ried aus vier Kirchengemeinden besteht.

Wie sieht der weitere Zeitplan aus und was bedeutet das personell?

Gisela Kögler: Mittlerweile sind alle NBR dabei, ihre neue Rechtsform zu finden. Bis zur Kirchenvorstandswahl Anfang 2027 muss das spätestens abgeschlossen sein. Einzelne Kirchenvorstände wird es nicht mehr geben. Die Kirchenmitglieder wählen ein Leitungsorgan, z.B. eine Gesamtkirchengemeinde des NBR. Weiterhin hat unsere Kirche beschlossen, dass es schon ab diesem Jahr hauptamtliche Verkündigungsteams geben wird. Das heißt, dass alle Pfarrpersonen, Gemeindepädagoginnen und Kirchenmusiker in einem gemeinsamen Gremium den Verkündigungsdienst des NBR planen und gestalten werden.

Von dem EKHN-Prozess sind auch kirchliche Gebäude betroffen, nicht wahr?

Gisela Kögler: Die Umsetzung des Gebäudeentwicklungsplans fehlt noch. In allen NBR wird geschaut, wo es Einsparmöglichkeiten bei den Gebäuden gibt. Hier wird entsprechend der Anzahl der Gemeindemitglieder im NBR eine Flächenzahl festgelegt. Soundsoviel Mitglieder entsprechen soundsoviel Quadratmetern; davon müssen soundsoviel Prozent eingespart werden. Dies betrifft in erster Linie alte oder nicht ausgelastete Gemeindehäuser. Diese werden von der Landeskirche nicht weiter bezuschusst. Ebenso wird es Pfarrhäuser geben, die keine Finanzierung mehr bekommen, da sie aufgrund von Vakanzen und nicht mehr besetzbaren Stellen leer stehen.

Das Dekanat trennt sich von Gebäuden?

Gisela Kögler: Unsere Gebäudeentwicklung dient dazu, Kosten zu sparen, und ich bin im Übrigen der Überzeugung, dass dies längst überfällig ist. Was kann denn unwirtschaftlicher sein als Leerstand in Pfarrhäusern und Gemeindehäuser, die oft nicht mal zur Hälfte ausgenutzt sind, aber erhebliche Kosten verursachen? Dann ist es doch vernünftig zu überlegen, wie welches Gebäude zu welchem Zweck genutzt werden kann, auch ob es verkauft oder vermietet werden oder gegebenenfalls durch Veranstaltungs-Vermietungen Geld erwirtschaftet werden kann. 

Welche konkreten Auswirkungen hat der Prozess bereits auf die Arbeit in den hiesigen Kirchengemeinden?

Gisela Kögler: Augenblicklich befindet sich unsere Landeskirche in diesem Transformationsprozess, also einer Zwischenzeit vom Übergang der alten in die neuen Strukturen. Es ist eine schwierige Zeit, in der es viel Ungeklärtes und auch Unbekanntes gibt. Das führt zu Unsicherheit, manchen Missverständnissen und auch Frust. Besonders für unsere Ehrenamtlichen, die ja den größten Teil in unserer Kirche ausmachen, ist dies besonders schwierig, da sie sich sozusagen nach getaner Berufsarbeit in diesem Prozess mit völlig neuen, unbekannten und schwierigen Situationen und Fragen auseinandersetzen müssen. 

Wie beurteilen Sie das Engagement in dieser schwierigen Situation?

Gisela Kögler: Ich finde es besonders bewunderns- und beachtenswert, mit wieviel Mut und Engagement sie Schritt für Schritt in diesem Prozess gehen, wie sie in ihren noch angestammten Kirchenvorständen Kirche und Gemeindeleben gestalten und gleichzeitig dabei sind, die neuen Strukturen umzusetzen. Es verdient große Hochachtung. Die Ehrenamtlichen sind das Fundament und tragen unsere Kirche.

Welche Herausforderungen ergeben sich außerdem?

Gisela Kögler: Die größte Herausforderung ist meines Erachtens, noch in der Kategorie einer einzelnen, in sich abgeschlossenen Kirchengemeinde zu handeln und gleichzeitig sich auf eine große Gemeinschaft in Form einer Gesamtkirchengemeinde einzulassen. Augenblicklich entscheiden die Kirchenvorstände noch allein über ihre Dinge, aber in vielem müssen sie sich bereits mit den anderen Vorständen im Nachbarschaftsraum absprechen und zu einer gemeinsamen einvernehmlichen Entscheidung kommen, beispielsweise bei der  Entscheidung über ihre zukünftige Rechtsform, dem gemeinsamen Leitungsgremium des NBR. Oder bei der Gebäudeentwicklung. Für mich ist die Vorgehensweise in diesem EKHN-2030-Prozess zutiefst evangelisch, und ich staune und freue mich zugleich, wie gut es alles in allem den Kirchenvorständen und Pfarrpersonen gelingt.

Wie bereiten Sie die Gemeinden vor?

Gisela Kögler: Unsere Landeskirche hat eine ganze Abteilung eingerichtet, die Informationsveranstaltungen und Workshops zu den verschiedenen Aufgaben im Prozess anbietet. Es gibt Handreichungen und auch immer wieder Zoom-Meetings, offen für alle am Prozess Beteiligten, die alle möglichen Fragestellungen aufgreifen und Antworten geben. Unsere digitalen Medien sind augenblicklich voll mit Informationen auf allen Ebenen des Transformationsprozesses.

Wie werden Sie noch unterstützt?

Gisela Kögler: Die Landeskirche hat sogenannte Transformationsunterstützer eingestellt, die jeweils die Kirchenvorstände in den NBR begleiten. Es gibt Supervisions- und Organisationsberatungsangebote seitens der Kirche, die hierfür eine ordentliche Summe in den Haushalt eingestellt hat. Und wir als Dekanat haben es uns zur Aufgabe gemacht, den direkten Draht zu den NBR zu halten. Unser DSV mit Dekanin und stellvertretendem Dekan sind jederzeit direkt ansprechbar, wenn es aus den Kirchengemeinden Fragen oder Probleme gibt. Wir begleiten die Kirchengemeinden mit ihren Steuerungsgruppen und die Verkündigungsteams vor Ort und bieten selbst Workshops und Informationsveranstaltungen an.

Die EKHN rechnet bis 2030 mit einem Rückgang auf weniger als 1,2 Millionen Mitglieder. Wie wirkt sich diese Prognose aus?

Gisela Kögler: Wir haben in der Herbstsynode im vergangenen Jahr den neuen Sollstellenplan bis Ende 2030 beschlossen. Er nimmt die Reduzierung der Stellen im Pfarramt sowie in der Gemeindepädagogik und der Kirchenmusik auf. Aber auch in Verwaltung und Sekretariat müssen wir auf Stellen verzichten. Wir müssen also im Dekanat klug überlegen, wie wir zukünftig unsere Arbeit als Kirche in der Region weiterhin gestalten können. Wie wir unsere Aufgaben in der Ökumene, der gesellschaftlichen Verantwortung oder der Bildungs- und Jugendarbeit weiterführen können, so dass wir im Kreis Groß-Gerau auch weiterhin als evangelische Kirche wahrgenommen werden und wirken können.

Kontakt: gisela.koegler@ekhn.de
und dekanat.gross-gerau-ruesselsheim@ekhn.de

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