Lesen lernen

Von Edelgard Rietz.

Seit ich mit einem syrischen Mädchen das Lesen übe, wird mir so richtig bewusst, wie schwer das für ein Kind sein muss. S. muss sich nicht nur in einer fremden Welt zurechtfinden, sondern auch die Sprache lernen, um überhaupt mit allem klarzukommen.

Ich bekomme von der Lehrerin Übungsmaterial und Buntstifte dazu. Ich gehe mit S. in einen leeren Klassenraum, niemand kann uns hier stören. Vorweg, die Kinder, die schon gut unsere Sprache beherrschen, kommen dann in eine normale Schulklasse, wo sie dem Unterricht folgen können. 

S. will lesen lernen, das ist schon einmal die Grundvoraussetzung, sie muss auch die Wörter und ihre Bedeutung verstehen. Jetzt erklären sie mal einem Kind, dass zwischen dem Wort Kirchen und den Kirschen Welten liegen. Alles hängt an einem Buchstaben, dem „s“.

Gottseidank bin ich mit Block und Stift gerüstet. Also male ich einen Kirchturm, langt nicht, also die ganze Kirche, daneben eine Moschee, dann einen Baum und daran die Kirschen. Und dann sehe ich in ihrem Blick: Verstanden. Pures Glück für uns beide. Harte Arbeit für dieses Kind. Ähnliche Schwierigkeiten gibt es mit „e-i“, also dem Umlaut „ei“, und „ie“, also dem langgezogenen „i“, und so geht es weiter. Anstrengung pur. Mein Elefant sieht nur entfernt wie einer aus, aber es langt. 

Die Lehrerin informiert die Eltern, und die bedanken sich. Das sind Eltern, die wissen, dass Bildung der richtige Weg ist, und sie unterstützen ihr Kind. Im öffentlichen Raum müssen die Kinder ja auch noch mit dem Hessischen klar kommen, das weiß ich aus eigener Erfahrung. Inzwischen klappts. Weil die Lesekompetenz bei deutschen Kindern beängstigend abgenommen hat, sind wir alle gefragt, um als Lesepaten zu helfen. Das muss doch zu schaffen sein. 

Stimmen von der Genderfront werden laut, die das Gendern in der Schule fordern. Das ist, als ob das Pferd von hinten aufgezäumt wird. Bekommt damit eine Frau den gleichen Lohn für gleiche Arbeit? Alle in die Gewerkschaften. Das wäre der Anfang. Dann ergibt sich auch sicher alles Weitere. Sollte es den Stolpersprachebefürwortern gelingen, hört der Spaß endgültig auf, dann gehe ich auf die Straße.

Edelgard Rietz
ist Malerin mit Wohnsitz in Groß-Gerau;
edelgard.rietz@gmx.de

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