Mit goldener Stimme

Von Siggi Liersch.
Das meint Leonard Cohen ironisch, wenn er in „Tower of Song“ behauptet, dass er mit einer goldenen Stimme zur Welt gekommen sei. Aber: Diese Stimme bleibt auch nach Cohens Tod im Jahr 2016 magisch.
Man kann es der Technik gar nicht hoch genug anrechnen, dass sie Stimmen und Klänge quasi naturgetreu reproduzierbar gemacht hat. Bis auf die Atmosphäre klingt life ebenso eindringlich und klar wie die Konserve. Ich habe Leonard Cohen dreimal life gesehen, zweimal in Frankfurt und einmal in Köln. Dahin bin ich ihm sogar nachgefahren, was ich bei keinem anderen Künstler jemals getan habe, völlig empfänglich für die Magie seiner Stimme und seiner Ausdruckskraft, zudem angetan von der Aussagestärke seiner Lyrik. Ich gehe keinesfalls unvorbereitet oder gar unvoreingenommen an das Buch von Caspar Battegay. Ich muss gestehen, dass ich Musik nicht so nüchtern wie er zerlegen kann, wie mir das mit einem Roman und selbst mit Gedichten gelingt. Das muss ich dieser Beschäftigung mit Battegays Buch „Leonard Cohens Stimme“ voranstellen. Der Leser und die Leserin dürfen mich durchaus als befangen ansehen. Ich kann dem nichts entgegenstellen und kann nur nochmals betonen, dass mit Cohens aufgezeichneter Stimme eine konservierte ästhetische Qualität hinzukommt, die auf jeden Menschen auf die unterschiedlichste Art und Weise wirkt. Selbstverständlich ist es gut möglich, dass es Menschen gibt, auf die diese Stimme keinerlei Einfluss hat und die in ihr nichts Besonderes sehen. Aber Cohen ist nie ein Popsänger gewesen, selbst wenn man gut auf manche seiner Titel tanzen kann. In seinen Interviews hat er immer wieder betont, wie lange er an seinen Texten tüftelt und was am Ende im Song überlebt. Für „Hallelujah“ hat er an die siebzig Strophen geschrieben. Seine Stimme gehört sicherlich zu den bekanntesten der Welt. Seine Lieder wurden schon hundertfach gecovert. Sein Gesang zieht weltweit Millionen von Fans in seinen Bann. Mein Fan-Verhältnis zu Cohen ist ein anderes als zu Bob Dylan. Man verzeiht Cohen Ironie, Zynismus, überschwängliche Romantik und Pathos und lässt sich gern von ihm erschüttern. Caspar Battegay geht der Faszination für Cohens Stimme auf den Grund, deutet literarische und popkulturelle Hintergründe der Verbindung von Ton und Text und widmet sich Einflüssen der Politik und des Judentums, aber auch des Christentums sowie anderer Religionen. Battegay stellt dazu fest, dass für einen Künstler wie Cohen die Poesie die eigentliche Religion und eine Art absoluter Glaube sei. Für diese Form des Glaubens an die Poesie stehe er mit seiner Stimme. Dabei ist einer der wichtigsten Gründe für Cohens anhaltende Popularität seine dokumentierte und nachprüfbare Inszenierung der eigenen Widersprüchlichkeiten. Zwischen Ironie und spirituellen Ambitionen ist man hin- und hergerissen. Cohens Stimme bewegt sich zwischen Heiligkeit und dem Streben nach möglichst freier Sinnenlust. Anhand der neuen Deutung von Klassikern wie „Suzanne“, „Who by Fire“ oder „The Future“ tritt uns Leonard Cohen als ein ironischer Prophet vor Ohren, dessen Stimme auch nach ihrem erdgebundenen Verstummen noch weiterklingt.
Caspar Battegay sieht in Cohen in erster Linie den wortgewandten Poeten, der trotz aller weltlichen und persönlichen Katastrophen immer von einem Hoffnungsgefühl erfüllt ist. Battegays distanzierter und sezierender Blick gelingt ihm trotz seiner Fan-Nähe. Cohens Fans werden dieses Buch ohnehin kaufen und die bisher Unentschlossenen werden dank dieser Zeilen eventuell dazu angeregt.
Caspar Battegay, Leonard Cohens Stimme,
Klaus Wagenbach Verlag, Berlin 2024, gebunden, 160 Seiten, 22,00 EUR