Superhelden

Von Siggi Liersch.
Comics waren vor sechzig Jahren als Kinderkram verpönt und wurden sogar als schädlich für die geistige Entwicklung angesehen. Kinder und Jugendliche, die Bildergeschichten mit Sprechblasen und Kurzsätzen, mit Bumm und Zack in Versalien konsumierten, galten als verloren für die ernsthafte Literatur und sogar als unrettbar verdorben.
In meinem Umfeld war das glücklicherweise nicht so, da meine Eltern nur wenige Bücher im Wohnzimmerschrank aufbewahrten: die Bibel, Kirchengesangsbücher und ein paar Bände Ludwig Ganghofer, die mein Vater las, von den Western-Heftchenromanen einmal abgesehen. Es gab kein Bücherregal. So war ich frei, von keinem Dünkel gemaßregelt und konnte mir alle erdenklichen Comics zu Gemüte zu führen. Dank der Sprechblasen wurde ich textlich sozialisiert und fand später problemlos den Weg zur ernsten Literatur. Ich konsumierte in ausuferndem Maße. Von Mickey Mouse über Tarzan, von Sigurd & Bodo, Fix & Foxi über Prinz Eisenherz bis hin zu der phantastischen Reihe „Illustrierte Klassiker“. Zudem wurde untereinander getauscht, da man sich alle Heftchen finanziell nicht leisten konnte.
Nun hat der Rowohlt Verlag einen witzigen Comicroman von Marc-Uwe Kling und Jan Cronauer mit Zeichnungen von Florian Biege publiziert. „Normal und die Zero Heroes“ ist eine ironische Parodie des Superhelden-Genres und gleichzeitig eine liebevolle Hommage an die gesamte Elite der Comic-Stars. Dabei haben die Helden der Geschichte sprechende Namen. „Normal“ arbeitet in der Notrufzentrale einer Welt, in der alle Superkräfte haben. Alle, außer ihm. Seine Kollegin zum Beispiel hat die Superkraft, unsichtbar zu werden, sobald Arbeit ansteht. Das erscheint uns doch irgendwie bekannt und wie aus dem eigenen Leben gegriffen! Das nervt nicht nur unseren Helden. Seine Chefin Simona kann ihm mit ihrem durchdringenden Blick sogar ihren Willen aufzwingen. Dabei wirken ihre Augen wie die der Schlange Ka aus dem Dschungelbuch. Einer meiner bevorzugten Helden ist Incognito. Auf die Frage „Kennen wir uns?“ antwortet er: „Selbst wenn wir uns schon einmal begegnet wären, würdest Du Dich nicht mehr an mich erinnern. Niemand erinnert sich an mich. Das ist meine Stärke.“ Und während er dies sagt, verblassen nach und nach die Lettern in der Sprechblase. In dieser Form habe ich das auch noch nie gelesen. Dass er umgehend vergessen wird, ist gleichzeitig auch seine Schwäche, wie bei Superman unter Einfluss von Kryptonit, wenn er damit in Berührung kommt. Beim Betrachten hatte ich ständig Déja vu-Momente vor Augen, verwischte Erinnerungen aus der Kinderlesezeit. Es ist ein Comic für Erwachsene, denn man braucht ein bildhaftes Hintergrundwissen, um die vielen Anspielungen zu verstehen. Seit dem Launch der ultramodernen BackApp für die Notrufzentrale gibt es nur noch Helden mit lächerlichen Fähigkeiten. Doch als ein neuer Superschurke auftaucht, der Kräfte rauben kann, sind „Normal und die Zero Heroes“ die Einzigen, die sich ihm in den Weg stellen, da sie nichts zu verlieren haben. Es ist eine erfrischende Parodie auf das Genre der Superhelden. Viel mehr soll an dieser Stelle gar nicht verraten werden. Trotz der zweihundert Seiten bricht der Band in der Mitte ab und der Leser wird auf den Herbst 2025 vertröstet. Ganz wie in einem Comic: Fortsetzung folgt und wir dürfen gespannt sein!
Marc-Uwe Kling/Jan Cronauer (Text), Florian Biege (Illustrationen)
Normal und die Zero Heroes
Rowohlt Verlag, Hamburg 2024, 208 Seiten, 25 Euro