Tausche Plenum gegen Werkstatt
Von Melanie Wegling.
Im Deutschen Bundestag ist Sommerpause. Die letzten Plenarsitzungen fanden am 5. Juli statt. Wie viele meiner Kolleg/innen aus dem Bundestag nutze ich die Zeit, um in meinem Wahlkreis Groß-Gerau Termine wahrzunehmen, Menschen zu treffen und Unternehmen zu besuchen. Dieses Jahr habe ich meine Sommertour unter das Motto „Quer durchs Handwerk. Quer durch den Wahlkreis“ gestellt. Warum? Das hat mehrere Gründe.
Als Tochter einer Handwerksfamilie – meine Eltern betreiben eine Dachdeckerei in Ginsheim-Gustavsburg – kenne ich manche Herausforderung im Handwerk. Doch in jedem Betrieb und in jeder Branche läuft es anders. Um die Vielfalt der Herausforderungen und Wünsche an die Politik besser kennenzulernen, sehe ich mir Betriebe aus ganz verschiedenen Bereichen an: ob Autohaus oder Fahrradwerkstatt, Fliesenleger oder Innenausstatter, Maler oder Schreiner, Bäckerei oder Pralinenmanufaktur, Sanitär oder Sanitätshaus, Denkmalpflege oder Geigenbau.
Die Bandbreite des Handwerks zeigt die Vielfalt in unserem Kreis. Der Wert, den diese Betriebe für die Kommunen und ihre Menschen haben, ist dabei kaum zu messen. Oftmals sind sie familiengeführte Traditionsunternehmen, die, vor Ort festverwurzelt, zur Lebendigkeit und zum Wohlstand der Kommune beitragen. Sie sind wichtige Arbeitgeber und Ausbilder, sie beleben die Innenstädte, sie beteiligen sich am Gemeinwesen, und sie stellen fachkundig erzeugte Produkte oder qualifizierte Dienstleistungen ortsnah und in diesem Sinne nachhaltig zur Verfügung.
Gleichzeitig ist es schwierig, sich als kleiner Handwerksbetrieb im politischen Berlin Gehör zu verschaffen. Große Unternehmen haben gut besetzte Public-Affairs-Abteilungen, die professionell und mit finanziellem Aufwand Lobbyarbeit betreiben. Mit meiner Handwerkstour möchte ich hier ein Gegengewicht setzen und den Betrieben die Möglichkeit geben, ihre Sorgen und Wünsche direkt bei ihrer Bundestagsabgeordneten loszuwerden. Auf diese Weise kann Politik so gestaltet werden, dass sie auf die Herausforderungen des Handwerks eingeht.
Nach der ersten Hälfte meiner Handwerkstour kann ich sagen, dass es drei große Themenbereiche sind, die immer wieder angesprochen wurden: erstens der Fachkräftemangel, zweitens Investitionen und Wachstum und drittens Ausschreibungen. Was den Fachkräftemangel angeht, zeigt sich die Lage unterschiedlich. Während manche Betriebe mit größerer Strahlkraft oder Instagram-tauglichem Coolness-Faktor sich nicht beschweren können, sind andere Handwerke, besonders wenn es körperlich sehr anstrengend wird, bei der Berufswahl junger Menschen weniger beliebt. Hier die richtigen Anreize zu setzen, z.B. mit durch den Bund geförderten Azubi-Wohnheimen, wird in Zukunft entscheidend sein. Um das volle Potenzial an Nachwuchs zu heben, müssen gerade auch junge Frauen gezielt angesprochen werden. Einige tolle Vorbilder an weiblichen Azubis, Handwerkerinnen und Werkstattmeisterinnen habe ich auf meiner Handwerkstour bereits getroffen.
Beim Thema Investitionen und Wachstum zeigt es sich besonders für kleine Betriebe, dass jede Investitionsentscheidung eine schwere Entscheidung ist und konjunkturelle Schwankungen sich sehr stark auswirken. Traditionsunternehmen, die seit Jahrzehnten an demselben Standort tätig sind und teils noch Wohnen und Arbeiten unter einem Dach vereinen, fehlen die Gewerbeflächen zum Wachsen. Die Kommunen sind hier in der Verantwortung, nicht nur an Großbetriebe zu verpachten, was weniger Verwaltungsaufwand bedeutet, sondern auch kleineren Betrieben passende Flächen zur Verfügung zu stellen.
Beim Thema Ausschreibungen gab es viele Anregungen. So sollen z.B. sämtliche Dachdeckerleistungen in einem Projekt nicht immer gemeinsam ausgeschrieben werden. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass sich nicht nur ein Großunternehmen, sondern auch der lokale Betrieb bewerben kann, der eventuell nur eine Teilleistung erbringen kann. Gute Nachrichten konnte ich von der Überarbeitung des Vergaberechts mitbringen. Die darin vorgesehene Verankerung der Kreislaufwirtschaft und Verwendung von Recyclingmaterialien sollte zu einer Entlastung der Betriebe bei der Lagerung und Entsorgung von Abrissmaterial führen. Wird das Recycling gestärkt, fällt weniger Abfall an oder ist so viel wert, dass er den Betrieben abgekauft wird. Außerdem müssen zukünftig Kommunen nicht mehr den günstigsten Anbieter nehmen, sondern können dem lokalen Betrieb den Vorzug geben, der ortsnah und somit nachhaltiger, bei Reklamationen greifbarer und der Kommune, in der er tätig ist, pflichtbewusster gegenübersteht. Das traf auf viel Zustimmung bei den Handwerksbetrieben.
Bei allen möchte ich mich an dieser Stelle herzlich bedanken, dass sie sich die Zeit genommen haben, mich durch den Betrieb zu führen und ihr Handwerk zu erläutern. Bei manchen durfte ich richtig mitarbeiten, eine Baustelle besuchen, Mitarbeiter/innen kennen lernen oder die Produkte testen. Diese Einblicke nehme ich mit nach Berlin und so ist die parlamentarische Sommerpause gut genutzt.