Universal umtriebig
Von Siggi Liersch.
Vor dem Lesen eines Buches stelle ich mir immer vor, was mir dieses Buch „bringen“ könnte. Ein Roman oder gar ein Lyrik-Band geben nur ungefähre Auskunft. Ein Buch wie das vorliegende mit dem Titel „Verabredung mit Dichtern. Erinnerungen und Begegnungen“ ist da schon wesentlich konkreter.
Geschrieben hat es einer, den man getrost als Motor der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur bezeichnen kann. Aber das ist auch nicht ganz exakt getroffen, denn Krüger ist weitaus mehr. Bis 2013 war er der Chef eines der berühmtesten literarischen Publikationshäuser in Deutschland, dem Hanser Verlag. Diese Karriere begann er 1968 als Lektor und war für fünfundvierzig Jahre diesem Traditionshaus verbunden, während der letzten Jahrzehnte wie erwähnt sogar als dessen Chef. Michael Krüger war darüber hinaus auch als Poet, Herausgeber, Übersetzer, Erzähler, Präsident einer Akademie, Juror, Nach- und Vorwort-Schreiber und all dem tätig, was sich einem, der durch und durch ein Büchermensch ist, im Laufe von umtriebigen Jahrzehnten anbietet. Folgerichtig hat er viel zu erzählen und man ahnt, dass man nach knapp 450 Seiten nur einen Teil dessen erfahren hat, was uns dieser Literaturmensch zu erzählen hätte. Es sei bereits hier darauf hingewiesen, dass Krüger am Ende des Buches in seiner Nachbemerkung schreibt: „Manchmal gehe ich an der langen Reihe der Aktenordner vorbei (…) – und dann nehme ich mir vor, daraus ein weiteres Buch zu machen als Dank für die vielen Freundschaften, die ich mit den Dichtern und ihren Büchern schließen durfte. Es bleibt also noch etwas zu tun.“
Neben der Verlagsarbeit veröffentlichte Krüger seinen ersten Gedichtband 1976 im Hanser Verlag: „Reginapoly“. Das kurze Gedicht „Schlechte Laune“ sei hier wegen seiner anhaltenden Aktualität vermerkt: „Es ist schwierig geworden/ (und wird immer schwieriger)/ die Gegenwart zu erreichen:/ zu atemlos, zu blind. Meine/ Briefe erreichen alle ihren/ Absender. Es ist schwierig/ geworden, den Versuch zu/ wagen, zu sprechen. Ich spreche,/ so tief ist der Riß,/ der uns trennt von der Zukunft.“ Seitdem publizierte er Lyrik und eine ganze Reihe an Romanen. Somit war er selbst als Produzent wie auch als Vermittler von Literatur an entscheidender Stelle tätig. Trotz der vielen autobiographischen Momente ist dieses Buch keine reine Autobiographie, es steckt eher voller Erzählungen über das Leben anderer Dichter und Dichterinnen, mit denen Krüger geschäftlich zu tun hatte oder befreundet war. Mit all seinen Aktionen an den verschiedensten Literaturfronten während seiner Berufszeit förderte er die Verbreitung der Poesie. Dichter und Dichterinnen aus Polen, Holland, Nordamerika, Israel, Italien und Schweden bringt er uns in diesem Band näher, wobei seine Auswahl naturgemäß sehr subjektiv ist. Mit Hilfe von Anekdoten erzählt er äußerst kurzweilig. Dass sich an einem Arbeitsplatz wie dem Hanser Verlag viel literarische Prominenz befindet, wobei sich die Nobelpreisträger und weltbekannten Dichter die Klinke in die Hand geben, erscheint als ziemlich natürlich und ist dem Bekanntheitsgrad des Verlagshauses Hanser zu verdanken. Dabei stößt man auch auf unbekanntere Namen und wird neugierig auf deren Literatur.
Michael Krüger, Verabredung mit Dichtern.
Erinnerungen und Begegnungen, Suhrkamp Verlag,
Berlin 2023, 447 Seiten, 30 €