Mehr Klang für die Kreisstadt

Von Ulf Krone.
Kirchenorgeln sind komplexe Musikinstrumente, die nach Bedarf erweitert werden können, um das Klangspektrum auszubauen. Genau das ist aktuell für die Orgel der Groß-Gerauer Stadtkirche geplant. Einblick in die Welt der Kirchenorgeln gibt Kantorin Wiebke Friedrich im Gespräch mit Ulf Krone. Und sie verrät, weshalb die Bedeutung der Orgelerweiterung über den musikalischen Aspekt hinausgeht.
Die Orgel in der Stadtkirche soll „erweitert“ werden. Was genau ist damit gemeint?
Wiebke Friedrich: Wir möchten unsere Orgel gerne um ein sogenanntes Schwellwerk mit den entsprechenden Klängen erweitern. Die Pfeifen, die diesem Werk zugeordnet sind, stehen in einem Kasten, bei dem man an einer Seite Jalousien mittels eines Fußtrittes öffnen und schließen und somit stufenloses Crescendo („lauter werden“) und Decrescendo erzeugen kann. Mit den entsprechenden Registern (Klänge) in diesem Schwellwerk, nämlich zarte Streicher- und Flötenklänge, und einem Schweberegister kann man bei geschlossenen Jalousien klanglich eine sehr sphärische und intime Stimmung erzeugen. Daneben soll das Schwellwerk eine schöne Hornsolostimme bekommen und, um das klangliche Fundament der Orgel ein wenig zu stärken, ein zusätzliches 16´ Register (eine Oktave tiefer als normal) und sogar ein akustisches 32´ Register (zwei Oktaven tiefer als normal).
Was bedeutet das für die Orgel, für ihren Klang und die Möglichkeiten, die sie bietet?
Wiebke Friedrich: Mit den neuen Klängen haben wir die Möglichkeit, romantische Orgelmusik, vor allem die französisch-romantische Musik, stilgerechter zu interpretieren, als das bisher möglich war. Mit Komponisten wie Alexandre Guilmant und César Franck, aber auch Felix Mendelssohn Bartholdy, haben wir namenhafte Komponisten, die wunderschöne Werke für die Kirchenorgel geschrieben haben. Aber natürlich bietet sich daneben auch eine tolle neue Möglichkeit für das Improvisieren, also das eigene spontane Erfinden von Musik aus dem Moment heraus (zum Beispiel bei Liedvorspielen und bei der Liedbegleitung im Gottesdienst).
Optisch wird sich die Orgel kaum verändern, so dass die Engelsgestalt, die viele in dem Gehäuse unserer Orgel erkennen, erhalten bleibt. Der Korpus in der Mitte und die zwei riesigen Flügel zur rechten und linken Seite werden um ein weiteres „Paar Flügel“ im gleichen Baustil zu beiden Seiten erweitert.

Und konkret im Alltag, was erhoffen Sie sich von der Erweiterung?
Wiebke Friedrich: In erster Linie natürlich noch mehr Spaß und Inspiration beim Orgelspielen und ein neues genussvolles Hörerlebnis für die Zuhörerinnen. Daneben gibt es aber noch folgende nicht unwesentliche außermusikalische Aspekte: Die evangelischen Kirchengemeinden unserer Landeskirche stehen vor einem großen Umbruch, es gibt immer weniger Pfarrpersonen, nicht mehr überall können jeden Sonntag Gottesdienste stattfinden, Gemeindehäuser oder Pfarrhäuser werden verkauft, Gruppen und Kreise sorgen sich um ihren Fortbestand usw. Sorgen und Ängste um die Zukunft von Kirche und Gemeindeleben allerorten.
Dem wollen wir mit unserem Projekt „Neue Töne für die Orgel – Engelsklang“ etwas entgegensetzen und die kommenden Zeiten positiv angehen. Die Vergangenheit hat uns immer gezeigt, dass das gemeinsame Engagement für neue Dinge zusammenschweißt, dass daraus viele neue und weiterführende Ideen entstehen, dass am Ende jeder und jede, egal ob (in diesem Fall) Organistinnen, Konzert- oder Gottesdienstbesucherinnen, am Ergebnis teilhaben und sich daran erfreuen kann.
Natürlich erhoffen wir uns, mit unserem Vorhaben auch den kirchenmusikalischen Standort an unserer Kirche in Groß-Gerau noch attraktiver zu machen, für die Zukunft zu stärken, den Erhalt zu sichern und somit weiterhin zu der kulturellen Vielfalt in unserer Kreisstadt beitragen zu können. Nur um dafür ein Beispiel zu nennen: seit vielen Jahren führe ich jährlich zusammen mit Kirchenvorsteher Volker Lilje bei freiem Eintritt Kinderorgelkonzerte auf, und zwar jeweils in einer öffentlichen Aufführung sowie in diversen internen Aufführungen für alle dritten und vierten Klassen der Groß-Gerauer Grundschulen.
Wie soll die Erweiterung finanziert werden?
Wiebke Friedrich: Ein paar Ersparnisse von der letzten Orgelsanierung sind noch übrig. Die Kirchengemeinde, das Dekanat und die Landeskirche bezuschussen das Vorhaben großzügig. Aber 60.000 Euro müssen wir in den kommenden Jahren noch durch Sponsoring zuschießen.
Es gibt schon viele Ideen: vom Verkauf von Orgelkeksen, Tassen und Taschen über Handyklingeltöne zum Runterladen mit an unserer Orgel eingespielten bekannten Melodien bis zu besonderen Konzerten, Pfeifenpatenschaften und vielem mehr. Da heißt es Augen und Ohren offen zu halten, um nichts zu verpassen. Natürlich kann man uns auch auf dem normalen Wege unterstützen und spenden unter dem Spendenkonto:
DE14 5519 0000 0443 0840 25
BIC: MVBMDE55 (Volksbank Darmstadt Mainz eG)
Und wie sieht der Zeitplan dafür aus?
Wiebke Friedrich: Die Baupläne und alle Details sind bereits fertig. Die Orgelbaufirma Bosch aus Kassel steht in den Startlöchern und wird im Frühjahr 2026 erstmal in der Orgelbauwerkstatt mit den Vorarbeiten beginnen. Wann die finalen Arbeiten in der Stadtkirche durchgeführt werden, steht noch nicht endgültig fest. Aber wir gehen davon aus, dass die Arbeiten nach den Sommerferien vollendet sein werden, und wir freuen uns sehr darauf.
Ab Dezember 2025 starten wir jedenfalls mit dem Verkauf von diversen Artikeln und der Durchführung von Konzerten zugunsten der Orgel sowie der Möglichkeit, Pfeifenpatenschaften zu übernehmen.





