Sozialer Riss in Deutschland

Von Jörg Cezanne.

Deutschland hat sich lange über die Möglichkeit zum sozialen Aufstieg definiert. Der neue Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung zeigt, dieses Versprechen wird nicht mehr eingelöst.

Ein Großteil in der Mitte der Gesellschaft befindet sich nicht mehr im Fahrstuhl, der alle gemeinsam nach oben fährt. Vielmehr finden sich viele auf einer abwärtsfahrenden Rolltreppe – man muss immer schneller laufen, um nicht nach unten abzurutschen. Und weil das so ist, schrumpft die Mitte der Gesellschaft. Es konzentriert sich immer mehr Vermögen am oberen Rand und immer mehr Schulden ganz unten. Die ärmere Hälfte der Gesellschaft besitzt gar kein eigenes Vermögen.

Wer glaubt, dass Bildung daran etwas ändert, sieht sich getäuscht. Denn auch heute gilt: Wer arm ist, geht nicht aufs Gymnasium. Auch im Kreis Groß-Gerau drohen viele Kinder und Jugendliche bereits frühzeitig abgehängt zu werden. So befinden sich laut Sozialdatenmonitor des Kreises Groß-Gerau 7126 Kinder und Jugendliche im Hartz-IV-Bezug. Das sind 14 Prozent aller Kinder und Jugendlichen im Kreis – jedes 7. Kind. Armut macht das Leben nicht nur hart, sondern auch kurz. Wer ein geringes Einkommen hat, wird als Mann im Schnitt 71 und als Frau 78,6 Jahre alt. Wer sehr gut verdient, lebt als Mann fast ein ganzes und als Frau ein halbes Jahrzehnt länger.

Ganz nüchtern heißt es im Armuts- und Reichtumsbericht: „Menschen mit geringen Einkommen sind oft höheren Belastungen durch Umweltprobleme wie Luftverschmutzung und Lärm ausgesetzt, während Haushalte mit höheren Einkommen sich eher eine Wohnung in Gegenden mit weniger Straßenlärm und besserer Luft und Zugang zu Grünflächen leisten können.“ Auch wird anhand der Zahlen des Kreises Groß-Gerau deutlich, was sich seit vielen Jahren bundesweit bemerkbar macht: auch Arbeit bietet keine Sicherheit mehr gegen Armut oder ein Leben am Rande des Existenzminimums. 2852 Menschen im Kreis sind trotz eigener Erwerbstätigkeit auf Hartz IV angewiesen. Es handelt sich also um sogenannte Aufstocker, deren Lohn nicht ausreicht, um die Lebenshaltungskosten zu decken. Aber von Arbeit muss man leben können. Kein Erwerbstätiger sollte auf zusätzliche Sozialleistungen angewiesen sein.

Ein erster Schritt wäre es, dafür zu sorgen, dass der Mindestlohn nicht wie bisher in etwa 2,5 Millionen Beschäftigungsverhältnissen umgangen werden kann. Ein weiterer Schritt sollte den Mindestlohn endlich armutsfest machen und auf 13 Euro anheben. Und natürlich müssen wir weiterhin den Sozialstaat ausbauen sowie Hartz IV überwinden. Nur dann führen Erwerbslosigkeit oder Krankheit nicht mehr automatisch in Armut. Und während gegen Armut Geld hilft, hilft gegen leistungslosen Reichtum Umverteilung. Jedes Jahr werden in Deutschland Vermögen im Umfang von ca. 100 Milliarden Euro vererbt und verschenkt. Dabei geht es nicht um das kleine Häuschen der Oma, sondern um Millionenerbschaften. Dass hier die Steuern für Reiche zu niedrig sind, finden mittlerweile selbst die Reichen.

Jörg Cezanne
ist Bundestagsabgeordneter für die LINKE;
joerg.cezanne@bundestag.de

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