Gedichte aus der Quarantäne

Von Siggi Liersch.

Vor etwas über zwei Jahren begann die Corona-Pandemie. Das öffentliche Leben wurde deutlich zurückgefahren, Masken und Impfungen bestimmten die Schlagzeilen. Eine Katastrophe, die die gesamte Gesellschaft herausforderte, besonders die, die ohne oder mit deutlich eingeschränkter Immunabwehr dastanden. Über poetische Botschaften von Michael Krüger.

Der Dichter Michael Krüger, der mit einer schweren Gürtelrose geschlagen war, begann zu diesem Zeitpunkt eine Therapie gegen seine Leukämie. Es war für ihn sicherer, sich von Menschen fernzuhalten, um einer Ansteckung vorzubeugen. So zog er um in ein Holzhaus in der Nähe des Starnberger Sees. Von dort schickte er seine poetischen Botschaften, meditative Naturgedichte, Träume und nüchterne Beobachtungen an die Süddeutsche Zeitung. Sie wurden im Magazin abgedruckt und fanden eine große Resonanz. Ein weiterer Teil wurde in Sinn und Form veröffentlicht, der Zeitschrift der Berliner Akademie der Künste.
Es sind allesamt genaue Blicke auf die Natur, auf die Geschehnisse während der Quarantäne und auf seine unmittelbare Umgebung. Die Einschränkung seines Lebens führte aber auch nach innen und beschäftigte sich mit existenziellen Themen wie Vergänglichkeit, Krankheit und Tod.

Michael Krüger, Jahrgang 1943, kann man getrost als Motor in der deutschen Literatur-Landschaft ab den Siebziger-Jahren bezeichnen. Nach einer Verlagsbuchhändler- und Buchdruckerlehre lebte er von 1962-1965 als Buchhändler in London. 1966 begann seine Tätigkeit als Literaturkritiker. 1968 übernahm er die Aufgabe des Verlagslektors im renommierten Carl Hanser Verlag, als dessen literarischer Leiter er ab 1986 und später auch als Geschäftsführer bis 2013 tätig war. Seit 1981 war er auch Herausgeber der Literaturzeitschrift Akzente. Ich schreibe das hier so penibel auf, um aufzuzeigen, dass Krüger kein wispernder Naturdichter ist. Hinter seinen lyrischen Sätzen verstecken sich keine ungereimten Geheimnisse, um den Text spannender zu machen. Nein, hier verfertigt einer Erzählgedichte und man ist versucht, bei der Vorstellung des Bandes seitenweise Zitate anzuführen, den Dichter selbst zu Wort kommen zu lassen, damit der Leser dieser Zeilen präzise Bescheid weiß, was ihn erwartet, wenn er zu Krügers Lyrik greift. Fast schon automatisch wird ein geübter Leser Vergleiche mit seiner eigenen Naturauffassung ziehen, wird an den oft zitierten Klimawandel denken und wird hoffentlich ein wenig innehalten im Tagesablauf, der während der aktuellen Corona-Entwicklung wieder an Fahrt zugelegt hat. In seinem Gedicht „September, Regen“ kommt das Wort Lieferketten vor, als zeitlich gesehen dieses Wort noch nicht im aktuellen öffentlichen Bewusstsein war.

„Jedenfalls kann man hier/ ohne Maske auftreten und ohne Abstand,/ weil wir in einer gemeinsamen Welt leben,/ auch wenn die Särge verschieden aussehen/ und die Lieferketten nicht richtig funktionieren.“ Und am Ende des Gedichts heißt es: „Nur wenn man sich umdreht, sieht man,/ wie unsere Häuser zerfallen, als wären sie/ nicht aus Steinen gebaut, sondern aus Sand,/ und keiner sollte je drin wohnen dürfen.“

Krügers Gedichte sind ein ständiges Nachfragen und ein Infragestellen gewohnter Sicherheiten. Nichts ist wirklich sicher, aber um sich einer der vielen plausiblen Wahrheiten anzunähern, benötigt man eine geschulte und trainierte Beobachtung. Das zumindest ist der erste Schritt für die Vorstufe jeglicher Erkenntnis. Eine Art Abgesang, ein überraschend kurzes Gedicht beschließt die Holzhaus – Sammlung: „Schluss jetzt, ich habe/ fast alles gesagt oder angesprochen.// Jetzt sollen die Dinge/ mal selber ihre Meinung sagen dürfen.“

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