Guntram Vespers Essays
Von Siggi Liersch.
Es gibt sie noch, die Schriftsteller, die im Stillen wirken und zäh und intensiv an ihren Themen arbeiten. Und Sie als Leser? Mögen Sie Essays eines Schriftstellers, der sich mit der näheren deutschen Vergangenheit, aber auch mit dem Literaturbetrieb als minutiöser Beobachter beschäftigt und Ihnen Anregungen für weitere sprachliche Auseinandersetzungen mit unserer Geschichte vermittelt?
Dann ist dies der richtige Zeitpunkt zum Weiterlesen. Guntram Vesper, 1941 im sächsischen Frohburg geboren, war solch ein Autor, dessen Bekanntheitsgrad besonders heute unbedingt noch weiter zu steigern ist. Er kam 1957 über Berlin in die Bundesrepublik und las 1967 auf der letzten Tagung der geschichtsträchtigen Gruppe 47. Leider verstarb er 2020, aber seine Gedichte, seine Hörspiele, seine Prosa und sein voluminöser Roman Frohburg, für den er den Preis der Leipziger Buchmesse 2016 erhielt, werden sich im Gedächtnis der Lesenden festsetzen. Bereits 1992 erschien in der Frankfurter Verlagsanstalt sein Essay-Band Lichtversuche Dunkelkammer, der nun durch weitere Essays beim Rechtsnachfolger Schöffling und Co. für die Werkausgabe ergänzt wurde.
Gegenstände von Vespers Betrachtungen sind Orte und Landschaften, in denen er lebte, Begegnungen, die er vor seinem geistigen Auge noch einmal neu erstehen lässt, und immer wieder Überlegungen zum Handwerk des Schreibens, in dessen Verantwortung er sich sieht. In Lichtspiele wie auch schon in Lichtversuche Dunkelkammer hebt er besonders seine Wurzeln hervor: „Seit langem beschäftigt mich eine deutsche Kleinstadt, bin ich ihr auf der Spur. Es handelt sich um meinen Geburtsort Frohburg in Sachsen. Dort bin ich aufgewachsen, dort habe ich bis ins Jahr neunzehnhundertsiebenundfünfzig gelebt. Der Ort ist für mich eine Bühne, was die letzten hundert Jahre unserer Geschichte angeht. Eine Bühne für Zeitgeschichte, für deutsche Lebensläufe.“ Aus diesen Überlegungen gewinnt er seine Gedichte, aber auch seine Prosa, seine Hörspiele und seine Essays. Leider fehlt im vorliegenden Band Vespers Essay Einige Bemerkungen zum Schreiben von Gedichten, der in Lichtversuche Dunkelkammer noch abgedruckt war. Dort heißt es: „Das Fazit im voraus: ein geglücktes Gedicht, das bedeutet für mich größte Freiheit am Anfang und größte Geschlossenheit am Ende der Arbeit, intensivste und intimste Form des Sprechens, Nähe zu mir selber, Kunst. Wenn ich lyrische Texte entwerfe, an ihnen arbeite, habe ich keine Regeln, kein Programm, ein Autor ist vorhanden, die Welt um ihn herum und in ihm, ich kenne die alten Gedichte. Bis auf Feder, Papier und Notizbuch liegt nichts auf der Platte des Tisches.“ Und das ist auch das große Thema dieses Bandes: die Nähe zu sich selbst, immer gesehen durch das Vergrößerungsglas all der Dinge, die ihn etwas angehen und mit denen er verknüpft ist. Guntram Vesper zeichnet sich in erster Linie als Lyriker aus, selbst wenn sein opus magnum Frohburg mehr als tausend Seiten aufweist, da seine Sprache immer lyrisch durchdrungen ist. Es ist schade, dass dieser kleine Essay nicht in die Werkausgabe übernommen wurde, zeigt sie doch die Arbeitsweise dieses Mannes. Seine Sprache und seine Stoffe stammen aus dem bis vor gut 30 Jahren noch doppelten Deutschland, das er als Einwohner sowohl in der DDR als auch in der BRD als zwei Seiten einer Medaille erlebt hat.
Guntram Vesper, Lichtspiele. Essays und Berichte, Schöffling & Co., 2023, 384 Seiten, 30,00 Euro