Neues von Brecht
Von Siggi Liersch.
Bertolt Brecht – der bedeutende Stückeschreiber, der mit achtundvierzig Theaterstücken weltweit die Theaterlandschaft veränderte, der noch bedeutendere Verfasser von über zweitausend Gedichten (aber das ist meine rein private Meinung), ein kritischer, unbequemer Geist, den die Nationalsozialisten lieber gestern als heute unter die Erde ihrer Schreckensherrschaft gebracht hätten, ja, von diesem Bertolt Brecht gibt es tatsächlich noch etwas Neues zu berichten.
Brecht gilt als Begründer des epischen Theaters. Zwei Literaturrichtungen sind hier zusammengeführt: Epik und Dramatik. Eine durchaus revolutionäre Erneuerung. Seine Stücke sollten die Identifikation des Zuschauers mit einem der Handelnden auf der Bühne möglichst nicht zulassen, sie sollten vielmehr zum Denken und zur Veränderung des eigenen Handelns anregen. Durch den Einsatz von Verfremdungseffekten wie beispielsweise eingesetztem Liedmaterial, Texten oder auch Kommentaren, die neben der Bühne aufbrechend in die Handlung hinein gesungen und gesprochen werden, versucht Brecht, den Zuschauer zu einer kritischen Distanz zu bewegen und auf Abstand zu halten, damit seine Identifikationsmöglichkeiten erschwert werden. Dabei wird der Spielfluss häufig unterbrochen und der Schluss der Stücke meistens offengelassen. Der Herausgeber Noah Willumsen hat 91 größtenteils unbekannte Interviews, die Brecht zwischen 1926 und 1956 in fünfzehn Ländern gab, mit großer Sorgfalt in internationalen Archiven zusammengetragen. Brecht war auf der Flucht, er befand sich im Exil, hauptsächlich in den Ländern Dänemark, Schweden, Finnland, Russland, den Vereinigten Staaten und der Schweiz. Bevor er in der sowjetisch besetzten Zone, die bald darauf zur Deutschen Demokratischen Republik wurde, sein weltberühmtes Theater etablieren konnte, hetzte er zwölf Jahre durch Länder, die ihn glücklicherweise aufnahmen und in denen er seiner kritischen und aufklärerischen Arbeit am Existenzminimum nachgehen konnte. Nein, verwöhnt war der Herr Brecht in dieser Zeit nicht, aber man muss einräumen, dass es andere noch wesentlich härter traf. Er stellte einfache Fragen wie „Wie bekämpft man die Dummheit?“ oder „Was setzt man dem Faschismus entgegen?“, aber auch „Wie sieht eine neue Welt aus?“ Dabei war Brecht überzeugter und erklärter Kommunist, ohne je der KPD angehört zu haben.
In seiner Vorrede zeigt Willumsen auf, dass sich das Interview schon einen Platz auf der Zeitungsseite erobert hatte, aber dass es sich auch noch in einer Phase seiner Entwicklung befand, in der die Rollen noch nicht festgeschrieben waren. Man kann also keine Interviews im bekannten zeitgenössischen Stil erwarten, aber man findet zu Beginn schnell zu den großen Themen der 20er bis 50er Jahre, die Brecht mit einer breiten Zeitungsöffentlichkeit verbinden: „der Bruch mit der Vergangenheit, das Krisenbewusstsein der Gegenwart, die Zukunft von Kunst und Kultur.“ Es ist erstaunlich, wie modern dies alles besonders für unsere Zeit anmutet: Krieg, Flucht und Vertreibung. Und Willumsen gelingt es allein dank der Materialfülle, die dieser Interviewband zu bieten hat, erstaunlich zeitgenössisch zu bleiben. Der umfangreiche kritische Apparat lässt keine Fragen offen und bietet einen erschöpfenden Fundus an Hintergrundinformationen. Es ist ein Buch, das ich jedem geschichtlich und literarisch Interessierten nur wärmstens empfehlen kann. Kenner und Bewunderer von Bertolt Brecht und seinem großartigen Werk werden es mit Sicherheit ohnehin zu würdigen wissen.
Siggi Liersch
arbeitet als Schriftsteller, Liedermacher und Kritiker;
siegfried.liersch@gmx.de