Die Sache mit dem Wetter

Von Ulf Krone.

Über die Aussagen keiner anderen Disziplin wird so viel diskutiert, gescherzt und gelacht wie über die der Meteorologie. Zum Wetter hat jeder eine Meinung, jeder kennt irgendeine Bauernregel, und die Wettervorhersage liegt sowieso immer falsch. Vom Umgang mit der Wissenschaft:

„Wenn z.B. bei dem menschlichen Körper die gewöhnlichen Zeichen von Gesundheit und Krankheit das Urtheil täuschen; wenn die Medizin nicht in gewöhnlicher Weise wirkt; wenn unregelmässige Erfolge sich an eine Ursache knüpfen, so ist der Philosoph und Arzt nicht darüber verwundert; sie bestreiten deshalb im Allgemeinen nicht die Nothwendigkeit und Gleichförmigkeit der Prinzipien, welche das thierische Leben regieren. Sie wissen, dass der menschliche Körper eine ausserordentlich verwickelte Maschine ist; dass viele geheime Kräfte in ihm lauern, von denen man keine Vorstellung hat; dass er in seiner Wirksamkeit oft unregelmässig erscheinen muss, und dass deshalb diese unregelmässigen Folgen, welche sich äusserlich zeigen, nicht beweisen, dass die Naturgesetze nicht die grösste Regelmässigkeit in ihrer inneren Wirksamkeit und Wirkung innehalten.“ (David Hume)

Die Einlassung des schottischen Philosophen David Hume zur Zuverlässigkeit medizinischer – oder generell naturwissenschaftlicher – Aussagen macht deutlich, dass Skepsis und Misstrauen gegenüber der Medizin, wie wir sie während der Corona-Pandemie verstärkt erleben, bereits im 18. Jahrhundert, als er diese Zeilen zu Papier brachte, verbreitet waren. Doch woran liegt es, dass es scheinbar zu jeder Zeit Menschen gibt, die die wissenschaftliche Arbeit und ihre Erkenntnisse in Frage stellen?

Auch darüber geben die Zeilen Humes Auskunft. Denn im Gegensatz zum Laien sind weder Arzt noch Philosoph darüber erstaunt, wenn etwas nicht nach Lehrbuch verläuft – egal, ob es sich dabei um den Verlauf einer Krankheit oder den einer Therapie handelt. Denn die Spezialisten wissen um die Komplexität des menschlichen Körpers. Ihnen ist bewusst, dass sie längst noch nicht alles wissen, und sie haben gelernt, damit zu leben, diese Lücken erst noch füllen zu müssen.

Doch viele Menschen wünschen sich hundertprozentige Sicherheit. Ihnen sind die Sachverhalte – ob Pandemie, das globale Finanzsystem oder die Mechanismen des Klimawandels – zu komplex, und ihnen fehlen Zeit und Möglichkeit, sich eingehend damit zu beschäftigen, weshalb sie sich klare, einfache und endgültige Aussagen der Experten wünschen. Die diese aufgrund der Komplexität der Sachverhalte nicht liefern können.

Daraus lässt sich aber keine grundsätzliche Ablehnung wissenschaftlicher Erkenntnisse oder gar der Wissenschaften selbst ableiten. Denn die kompromisslose Eindeutigkeit unserer Schulmathematik ist eine Ausnahme, die in unser aller Leben auf diesem Planeten genauso wenig vorkommt wie in den anderen Wissenschaften. Aber genau das fordern viele Menschen von jenen ein und werfen ihn dann ihre Lücken vor. Wobei sie sich vermutlich bloß über die eigenen Bildungslücken ärgern.

Um es mit einem Beispiel zu verdeutlichen: Über die Aussagen keiner anderen Disziplin wird so viel diskutiert, gescherzt und gelacht wie über die der Meteorologie. Zum Wetter hat jeder eine Meinung, jeder kennt irgendeine Bauernregel, und die Wettervorhersage liegt sowieso immer falsch. Der Nachbar weiß es besser, dem juckt nämlich immer der Fuß, bevor Regen kommt. Trotzdem verlassen sich die Landwirte, bei denen es um ihre Existenz geht, genauso wie die Flugsicherung, wo es um Menschenleben geht, auf Meteorologen und fragen nicht den Nachbarn, wie es seinem Fuß gerade geht, weil die Saat aufs Feld oder der Urlaubsflieger noch in die Luft muss. Sie haben gelernt, mit Ausnahmen, Unregelmäßigkeiten und Ungenauigkeiten umzugehen, da sie wissen, dass die grundsätzliche Richtung stimmt. Und das kann man auch allen anderen Menschen nur dringend empfehlen.

Ulf Krone
ist Redakteur beim WIR-Magazin
und studierter Philosoph;
ulf.krone@wir-in-gg.de

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