Zuversicht in schwerer Zeit

Von Ulf Krone.
Es sind schwere Zeiten für die deutsche Wirtschaft. Manches, wie die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine oder die der Hinwendung der USA zum Faschismus, sind Probleme, die von außen wirken. Der allgemeine Reformstau, lähmende Bürokratie und der schädliche Sparzwang sind dagegen hausgemachte Bremsklötze für die Wirtschaft, besonders für das Handwerk. Wie es in den Betrieben aussieht und was man sich von einer neuen Bundesregierung mit ihren riesigen Sondervermögen verspricht, hat WIR-Redakteur Ulf Krone bei Susanne Haus, der Präsidentin der Handwerkskammer Frankfurt-Rhein-Main, nachgefragt (Foto: HWK FRM/Joppen).
Fachkräftemangel und öffentlicher Investitionsstau, überbordende Bürokratie und ein gigantischer Sanierungs- und Neubau-Bedarf – die Baubranche steht vor gewaltigen Herausforderungen. Wie sieht es da beim Handwerk im Rhein-Main-Gebiet aus, wie ist die Stimmung?
Susanne Haus: Die Probleme, die Sie ansprechen, treffen das Handwerk im Rhein-Main-Gebiet mit voller Wucht. Der Fachkräftemangel ist längst nicht mehr nur ein Zukunftsszenario, sondern Realität. Viele Betriebe finden schlichtweg keine geeigneten Bewerber – weder für die Ausbildung noch für qualifizierte Stellen. Der Handwerkssektor im Rhein-Main-Gebiet trägt mit großem Engagement alle Herausforderungen dieser Zeit mit, wird dabei aber oft allein gelassen. Was wir brauchen, sind keine weiteren Prüfaufträge, sondern mutige Reformen: schnellere Verfahren, gezielte Fachkräfteoffensiven, verlässliche Rahmenbedingungen und eine echte Entlastung der Betriebe.
Was das Handwerk auszeichnet, ist seine Anpassungsfähigkeit. Viele Betriebe setzen verstärkt auf Digitalisierung, stellen sich auf die Ausbildung von Jugendlichen ein, die mit sehr verschiedenen Voraussetzungen die Schule verlassen, und setzen auf Kooperationen in der Region. Wir merken, dass die Attraktivität handwerklicher Berufe aktuell wieder steigt, vielleicht liegt es an dieser Mischung aus Wandel und gleichzeitiger Beständigkeit. Die Stimmung ist durchaus gemischt, aber der überwiegende Tenor ist: Wir machen weiter, wir entwickeln uns, wir bleiben ein verlässlicher Motor für unsere Region, und um es mit unserer Handwerkskampagne zu sagen „Wir können alles, was kommt.“
Nun kommt mit der neuen Bundesregierung unter Kanzler Friedrich Merz auch ein gigantisches Sondervermögen für die Infrastruktur. Was bedeutet das für das Handwerk, und reicht Geld allein aus, um die Probleme rasch und effizient angehen zu können?
Susanne Haus: Das Sondervermögen bietet eine große Chance für das Land – und auch für das Handwerk. Natürlich begrüßen wir Investitionen – aber wir dürfen uns nichts vormachen: Geld allein wird nichts ändern, solange die strukturellen Probleme ungelöst bleiben. Es muss in einer Kombination von zu Verfügung stehendem Geld und tiefgreifenden Reformen münden. Der Anteil der Sozialversicherungen muss wieder bei maximal 40 Prozent gedeckelt werden, damit wir als lohnintensive Branche noch bezahlbar bleiben. Handwerksleistungen dürfen nicht zum Luxusgut werden. Das Sondervermögen muss so eingesetzt werden, dass es nachhaltige Effekte geben wird, die auch dann noch tragen, wenn die Gelder aufgebraucht sind. Ganz oben auf der Liste steht der Abbau von bürokratischen Hürden und die Rückkehr zu finanziell umsetzbaren Anforderungen beispielsweise beim Bauen. Geld ist wichtig – aber es braucht kluge Rahmenbedingungen, damit daraus echte und langfristige Wirkung entsteht.
Welche Wünsche oder Forderungen hat denn das Handwerk ganz konkret an die neue Regierung?
Susanne Haus: Das Handwerk erwartet keine Sonderbehandlung – aber faire Bedingungen. Wir wünschen uns von der neuen Bundesregierung eine Politik, die das Handwerk nicht nur als Stütze in der Krise, sondern als strategischen Partner für die Zukunft sieht. Wir brauchen endlich ein politisches Bekenntnis zur Gleichwertigkeit beruflicher und akademischer Bildung und eine damit verbundene moderne Ausstattung von Berufsschulen und Bildungszentren. Wir brauchen ein Bürokratieentlastungsgesetz, das diesen Namen verdient und uns erlaubt, wieder mehr Zeit mit unserem Handwerk und nicht am Schreibtisch zu verbringen. Und wir brauchen eine Investitionspolitik, die regional, nachhaltig und mittelstandstauglich ist. Wir fordern bei der Gesetzgebung die Berücksichtigung der Bedürfnisse der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), denn diese bilden über 95 % der Betriebe in ganz Europa. Trotzdem wird oft Politik für die großen industriellen Player gemacht, die die KMUs dann unnötig belastet. Außerdem müssen dringend die Rahmenbedingungen für Unternehmensnachfolgen verbessert werden. Viele Betriebe stehen vor einem Generationswechsel – wer hier nicht handelt, verliert wertvolles Wissen, Arbeitsplätze und letztlich auch regionale Attraktivität.
In Groß-Gerau muss die Stadt aufgrund des nicht genehmigten Haushalts alle freiwilligen Angebote streichen, darunter auch das Frühlingserwachen. Nun ist das lokale Gewerbe eingesprungen, das Stadtest findet gemeinsam mit einer Gewerbeschau statt. Kann das eine dauerhafte Lösung sein, dass die Gewerbetreibenden, darunter auch Handwerksbetriebe, solche eigentlich öffentlichen Aufgaben übernehmen?
Susanne Haus: Dass das lokale Gewerbe eingesprungen ist, um das Stadtfest zu retten, zeigt eindrucksvoll, wie stark der Zusammenhalt in der Region ist. Aber dauerhaft kann es keine Lösung sein, dass Unternehmen Aufgaben übernehmen, die eigentlich in öffentlicher Verantwortung liegen. Freiwilliges Engagement darf nicht zur Pflicht werden, weil kommunale Strukturen nicht mehr arbeitsfähig sind. Wir brauchen wieder handlungsfähige Kommunen, die gemeinsam mit der Wirtschaft gestalten.
Wir leben im Kleinen wie im Großen in einer herausfordernden Zeit. Wie blickt man in den Handwerksbetrieben im Rhein-Main-Gebiet, und wie blicken Sie persönlich in die Zukunft?
Susanne Haus: Die Herausforderungen unserer Zeit sind enorm – geopolitisch, wirtschaftlich, bildungspolitisch und gesellschaftlich. Wir als Handwerk stehen mittendrin. Aber gleichzeitig sehe ich eine große Resilienz und Innovationskraft in unseren Betrieben. Das Handwerk war schon immer ein stabilisierender Faktor in Krisenzeiten.
Ich glaube fest daran: Das Handwerk ist nicht nur Teil der Lösung – es ist der Schlüssel für eine zukunftsfähige Gesellschaft, in der wir gut und gerne leben. Es geht um Klimaschutz, um berufliche Bildung, um regionale Versorgung – all das kann nicht ohne das Handwerk funktionieren. Ich bin überzeugt: Wenn wir das richtige Umfeld schaffen, werden wir eine neue Wertschätzung erleben – für Qualität, für Ausbildung, für Unternehmergeist. Und dafür lohnt es sich, weiter mit Herz und Hand zu arbeiten. Persönlich blicke ich mit vorsichtiger Zuversicht, aber entschlossen nach vorn: Wenn wir Rahmenbedingungen verbessern und jungen Menschen wieder Lust aufs Handwerk machen, liegt eine starke Zukunft vor uns.
Zur Person: Susanne Haus ist Meisterin und Restauratorin im Maler- und Lackiererhandwerk sowie Geschäftsführerin eines Familienunternehmens in Bischofsheim in dritter Generation; seit November 2020 ist Susanne Haus Präsidentin der Handwerkskammer Frankfurt-Rhein-Main.
