Ausgebrannt und fertig

Von Rainer Beutel.

Mittlerweile dürfte der allergrößte Teil der Bevölkerung mit der Corona-Pandemie und ihren Folgen in Berührung gekommen sein. Jene, die sich sozusagen an vorderster Front damit auseinanderzusetzen haben, sind Einsatz- und Rettungskräfte. Der Geschäftsführer des DRK im Kreis Groß-Gerau, Mathias Conrad, beobachtete fatale Folgen, was er im Interview mit WIR-Redakteur Rainer Beutel verdeutlicht.

Herr Conrad, was hat die Pandemie mit dem Roten Kreuz gemacht? Wie haben sich Aufgaben und Zuständigkeiten verändert?

Mathias Conrad: In der Akutphase der Coronakrise war der DRK-Kreisverband zunächst damit beschäftigt, den Schutz der Klienten und Beschäftigten vor dem Virus herzustellen, die Kompensation der wirtschaftlichen Folgen zu minimieren und die Beschaffung von medizinischer Schutzausrüstung zu gewährleisten sowie die Impfung der Beschäftigten sicherzustellen. Das DRK war, wie alle anderen Unternehmen und Organisationen auch, in der Corona-Krise gezwungen, die Kern-, Unterstützungs- und Kommunikationsprozesse digital abzubilden. Das Phänomen „Beschleunigung im Kontext Digitalisierung“ hat in den letzten Monaten noch einmal eine ganz neue Dimension erfahren und die Arbeitswelt revolutioniert. Zu nennen sind mobiles Arbeiten, neue Besprechungsformen oder auch Mitgliederversammlungen als digitale Veranstaltung.

Welche Ansprüche wurden an das DRK gestellt und waren diese berechtigt?

Mathias Conrad: Was wir gerade erleben, lässt sich ohne Übertreibung als Ausnahmezustand bezeichnen. Das führt zu Unsicherheit und möglicherweise auch zu einem bohrenden Gefühl der Überforderung bei Bürgerinnen und Bürgern. Deshalb ist es die Aufgabe des DRK – neben der professionellen Abarbeitung seiner Aufgaben – besonders in diesen verunsicherten Zeiten für Stabilität durch Aufklärung, Informationen und zusätzlichen Maßnahmen außerhalb des „normalen“ Geschäftsportfolios zu sorgen.

Nennen sie bitte Bespiele:

Mathias Conrad: Dazu gehört die Eröffnung von fünf Testzentren im Kreisgebiet in Zusammenarbeit mit dem Kreis Groß-Gerau. Ebenso wurden die Schulungen für Multiplikatoren durchgeführt, um Gruppen wie z. B. Soldaten, Lehrer, Mitarbeitende von Unternehmen, der Gemeinden usw. zu befähigen, selbst Testungen durchzuführen. Auch ist der Sanitätsdienst im Corona-Impfzentrum Groß-Gerau an dieser Stelle zu nennen.

Konnten Sie die Ansprüche erfüllen?

Mathias Conrad: Unsere Aufgaben im Rettungsdienst als auch in den ambulanten Diensten konnten wir jederzeit erfüllen, auch wenn der Krankenstand bei den eigenen Mitarbeitenden gestiegen ist. Schwierigkeiten gab es bei schulabhängigen Leistungen durch den Ausfall von Erträgen. Hier musste für einige Monate Kurzarbeit geleistet werden. Nach dem Verlassen der Akutphase befinden wir uns nun in der Krisenroutine-Phase, die der Organisation Durchhaltevermögen und „Leben mit der Krise“ abverlangt. Nach drei Jahren besteht bei den Mitarbeitenden das Gefühl „fertig“ und „durchgebrannt“ zu sein. Wir versuchen diese zu unterstützen und noch resilienter zu werden.

Haben Sie die Probleme an die Politik und die Kreisverwaltung herangetragen, und wie wurde reagiert?

Mathias Conrad: Zusätzliche Finanzierungen wurden durch den erhöhten Aufwand für Schutzausrichtungen fällig, was zu der Frage führte, wer dies zu bezahlen hat. Auch die Refinanzierung der Personalkosten in den Sommerferien durch Mittel aus dem Sozialdienstleister-Einsatzgesetz, einem Sonderfonds, waren Themen. Die Kreisverwaltung hat uns, soweit möglich, immer unterstützt, und die Zusammenarbeit verlief auch in diesen besonderen Zeiten reibungslos.

Welche Konsequenzen hat die Corona-Pandemie, deren Folgen offenkundig noch lang nicht ausgestanden sind, auf die Motivation ihrer Einsatzkräfte und den Personalbestand? Ist es für ihre aktiven Mitglieder noch eine „Berufung“, anderen zu helfen?

Mathias Conrad: In der Zivilgesellschaft und auch in der Belegschaft macht sich eine Pandemiemüdigkeit breit, und es bestehen Zweifel an der Richtigkeit der verordneten Maßnahmen bis hin – bei einigen ganz wenigen Mitarbeitenden – zur offenen Unterstützung der sog. „Querdenker-Bewegung“. In der Folge war es immer schwieriger, die Mitarbeitenden von den Corona-Regelungen und deren Sinnhaftigkeit zu überzeugen. Auch die Arbeit am Patienten ist durch die Schutzmaßnahmen aufwendiger und „schweißtreibender“ geworden, was den Mitarbeitenden einiges zusätzlich abverlangt hat. Vielen Dank an alle, die dies in unser aller Sinne mitgetragen haben. Der weitaus größte Teil der Belegschaft hat – auch aus eigener Überzeugung – die Regelungen und Maßnahmen mitgetragen.

Was musste oder muss dafür in Kauf genommen werden?

Mathias Conrad: Für Menschen, die einen systemrelevanten Beruf in dem als kritische Infrastruktur geltenden Sektor Gesundheit, beispielsweise im Rettungsdienst oder der Pflege ausüben, kommen verschiedene Belastungsfaktoren hinzu. Nicht nur, dass dort berufsbedingt das Infektionsrisiko steigt, sondern die daraus resultierende Sorge um die eigene Gesundheit, aber auch die Gesundheit von Familienangehörigen und Freunden. Das erleben einige Menschen – auch medizinische Profis – als eine krisenhafte Situation und können daher Gefühle von Verunsicherung und Angst, von Hilflosigkeit hervorrufen. In solchen Fällen haben die Führungskräfte und das Team der kollegialen Ansprechpartner hoffentlich helfen können. 

Gab es Fälle oder Situationen, bei denen das DRK, seine Rettungskräfte oder einzelne Ortsverbände im Kreisgebiet ihrer eigentlichen Kernaufgabe nicht oder nur ungenügend nachkommen konnten?

Mathias Conrad: Nein, Gott sei Dank nicht. 

Wie sieht Ihr Blick auf das DRK im Kreis GG für die nahe Zukunft aus, was muss sich ändern, was kann bleiben oder: Welche Lehren ziehen Sie aus den zurückliegenden drei Jahren?

Mathias Conrad: Als lernende Organisation muss der Prozess evaluiert werden. Im Moment haben wir in allen Bereichen mit dem sog. Fachkräftemangel zu kämpfen, der nach der Pandemie, wie in einem Brennglas, sichtbar wird. Insbesondere in der Pflege muss sich etwas grundlegend ändern, damit noch junge Leute diesen Beruf ergreifen. Dieses Thema wird uns noch Jahre beschäftigen. Im Ergebnis bin ich sehr zufrieden und stolz, was die ehrenamtlichen und hauptamtlichen Helfer des DRK-Kreisverband Groß-Gerau während und in der Pandemie geleistet haben.

Mathias Conrad
ist Geschäftsführer des DRK-Kreisverbands;
mathias.conrad@drk-gg.de

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