Bob Dylan mixt die Medizin

Von Siggi Liersch.

Mit der Zeile „Johnny‘s in the basement, mixin‘ up the medicine“ startet Bob Dylan seinen Subterranean Homesick Blues von 1965, eine Hymne auf die Beat-Generation. Mit Allen Ginsberg, einem ihrer bedeutendsten Vertreter, verband ihn eine lebenslange Freundschaft. Und dieser halbe Vers gibt dem Dylan-Buch den Titel. Es ist nicht übertrieben, wenn man behauptet, so ein Buch über Dylan habe es bisher noch nicht gegeben. 

Um es gleich zu Beginn zu sagen: Es ist ein unglaublich informatives und umfassendes Buch geworden, das in seiner Reichhaltigkeit auf über 600 Seiten unveröffentlichte Fotos und Zeugnisse aus dem Bob-Dylan-Center in Tulsa (Oklahoma) von 1941 bis heute enthält. Dylan selbst sammelte und verwahrte Manuskripte, Briefe und Songtexte, aber auch Krimskrams und vordergründig Abseitiges. Ob dieses Buch dem Musiker, dieser kulturellen Ikone Dylan und dem Lyriker als Literaturnobelpreisträger hundertprozentig gerecht wird, will ich mal dahingestellt sein lassen, weil Dylan in letzter Instanz nicht wirklich festzunageln ist. Er ist ein Chamäleon, aber das sage ich keinesfalls unehrerbietig, denn – wie bei der Geschichte mit dem Hasen und dem Igel – ist Dylan, wenn man einmal glaubt, ihn wirklich deuten und bis zu einem feststehenden Schluss interpretieren zu können, schon wieder woanders. Er wechselt seine Farben, ohne unglaubwürdig zu werden, er richtet sich nach keiner herrschenden Meinung und macht keinerlei Moden der Musikindustrie mit. Dylan ist ein freier Geist und ein Schwamm, der vielerlei Sätze und Wörter aufsaugt, sie in seinem Sinne verändert und in neue Aussagen überführt, die strahlend immer wieder neue Diskussionen entfachen. Dylan muss unglaublich viel gelesen haben. In seinen Liedern tauchen Elemente der Bibel, Annäherungen an andere bedeutende Lyriker wie Rimbaud, aber auch an mythologische Zusammenhänge, Geschichten, Verbindungen zu Märchen und Sagen bis hin zu aktuellen Werbesprüchen und zeitgenössischem Slang und Umgangsmaterial auf. Dylan ist einer, der noch aus der Vertonung des Telefonbuchs einen spannenden und hintergründigen Song kreieren könnte. Und dieser Werdegang wird in „Mixing up the medicine“ anhand von handschriftlichen Dokumenten, von Textausrissen mit der Schreibmaschine und mehr als 1100 Abbildungen von 135 Künstlern begleitet und dem Leser und der Leserin präsentiert. Ein Dylan-Fan wird dieses Buch ohnehin kaufen und jemand, der diese schillernde Persönlichkeit bewusster kennenlernen möchte, hat hier die Gelegenheit in eine Wörterwelt einzutauchen, ohne unterzugehen. Dafür sorgen dreißig profunde Essays von angesehenen Autoren und Künstlerinnen wie Lucy Sante, Amanda Petrusich, Michael Ondaatje oder Greil Marcus. Besonders Letzterer hat Dylans Werdegang während des vergangenen halben Jahrhunderts begleitet und dokumentiert. Alle Essayisten wurden gebeten, sich ein sie faszinierendes Stück aus dem Archiv auszuwählen, um darüber exklusiv zu schreiben. Herausgekommen sind dabei viele persönliche Facetten und Sichtweisen von hohem Unterhaltungswert.

Vielfach geehrt und ausgezeichnet, ist der heute 82-Jährige seit Jahrzehnten mit legendären Konzerten auf seiner Never Ending Tour und hat mittlerweile sein 39. Album produziert, die zahllosen Bootlegs und Liveaufnahmen nicht mitgerechnet.

Bob Dylan, Mixing up the medicine, hrsg. von Mark Davidson und Parker Fishel, aus dem Englischen von Pieke Biermann, Harriet Fricke u.a., Droemer Knaur Verlag, München 2023, 608 Seiten, 98 Euro 

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