Ein afrikanischer Traum

Von Ulf Krone.
Kartoffeln, Tomaten, Zucchini, Brokkoli – auf deutschen Feldern und in den hiesigen Gärten wachsen viele Pflanzen, die inzwischen zur alltäglichen Ernährung gehören, aber eigentlich von weither stammen. Nun kommt mit der afrikanischen Yams-Wurzel eine weitere dazu, zumindest in Mörfelden-Walldorf, wo der Nigerianer Dickson Oarhe die nahrhaften Knollen auf einem Versuchsfeld anbaut, auf dem ich ihn Ende April treffe.
Auf einem Acker bei Mörfelden-Walldorf bin ich verabredet mit Dickson Oarhe, der dort Yams-Wurzeln anbaut, die wichtigste Nahrungspflanze in seiner Heimat Nigeria. Das Land ist neben Ghana und der Elfenbeinküste der Hauptproduzent von Yams, das vor allem in Afrika, darüber hinaus aber auch in Kolumbien und Papua-Neuguinea angebaut wird. In europäischem Boden ist Yams noch ein Exot, wenngleich bereits seit einigen Jahren an der Kultivierung geforscht wird, etwa in einem Versuchsprojekt der Universität Münster, das sich zwischen 2016 und 2021 mit dem Potenzial der Pflanze beschäftigte.
Für den heute 40-jährigen Dickson Oarhe ist Yams aber zuerst einmal ein Stück Heimat, eine Erinnerung an Nigeria, wo er noch seinem Vater bei Anbau und Ernte auf dem Feld geholfen hatte, bevor er aufgrund politischer Verfolgung seine Heimat hatte verlassen müssen. Ein Flüchtlingszentrum in Heidelberg und die Landeserstaufnahmeeinrichtung in Mannheim waren dann 2017 seine ersten Stationen in Deutschland, bevor er nach Mörfelden-Walldorf zu seiner Partnerin Maja Koschade hatte ziehen können. Und dort, im heimischen Garten, hat Dickson Oarhe 2024 auch die ersten Yams-Wurzeln gezogen und dabei festgestellt, dass sich der sandige und lockere Boden in und um seine neue Heimat tatsächlich dazu eignet. Im Herbst konnten schon die ersten langen Knollen geerntet und verarbeitet werden. Traditionell wird daraus ein Brei ähnlich unserem Kartoffelpüree gekocht, je nach Region vermischt mit Kochbananen als Fufu, oder getrocknet, zu Mehl gemahlen und vermischt mit Weizenmehl als Grundlage für Fladenbrot oder herzhaft gefülltes Backwerk verwendet. Die Knolle ist sehr nahrhaft, enthält viel Stärke, Provitamin A (Beta-Carotin) und Kalium und gilt als gesundheitsfördernd. Allerdings sind fast alle der etwa 800 Arten der Yams-Wurzel-Gewächse roh verzehrt giftig, müssen also in jedem Fall erst verarbeitet und gekocht werden.
Bei der Verköstigung der ersten Ernte wurde Dickson Oarhe, der nach einer zweiten Ausbildung in seiner neuen Heimat nun als Anlagemechaniker für Gas-, Wasser-, Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik arbeitet, von seinen Freunden ermuntert, das Ganze etwas größer aufzuziehen. So kam es durch die Vermittlung von Horst Jourdan in der Folge zum Kontakt mit Rainer Maier, der südlich von Walldorf einen Ackerstreifen zur Verfügung stellte. Das Projekt nahm allmählich Konturen an.
Bei meinem Besuch demonstriert Dickson Oarhe, wie Yams gepflanzt wird, und bringt bereits den insgesamt zehnten Setzling in die Erde. Denn wie Kartoffeln bilden Yams-Wurzeln Keime, die als Setzlinge in lockerer Erde in etwa 30 cm Tiefe gepflanzt werden. Leider eignen sich die langen, sich nach oben verjüngenden Knollen nicht zur maschinellen Ernte, weshalb eine Produktion im großen Maßstab unrentabel wäre aufgrund des riesigen Bedarfs an Handarbeit – ähnlich wie bei der Spargelernte. Doch für ein Yams-Wurzel-Fest zur Ernte im Herbst sollte es auf alle Fälle reichen, denn das ist bereits in Planung.
Für Dickson Oarhe ist die Knolle aber noch viel mehr als bloß ein Nahrungsmittel, sie ist ein Symbol für die Weltoffenheit der Menschen in Mörfelden-Walldorf, die ihn herzlich aufgenommen haben und nun sogar sein Projekt unterstützen. Immerhin waren auch die Waldenser Ende des 17. Jahrhunderts als Flüchtlinge nach Hessen-Darmstadt gekommen und hatten Walldorf gegründet. Und des Deutschen liebstes Gemüse, die Kartoffel, ist schließlich auch ursprünglich ein mittel- und südamerikanisches Gewächs, dessen Anbau hierzulande erst im 18. Jahrhundert allmählich begann. Wer weiß, was also aus der Idee des Yams-Anbaus in Deutschland noch werden kann. Der Anfang ist auf jeden Fall gemacht, und die wahlweise mit Hackfleisch, einem gekochten Ei oder Fisch gefüllten Yams-Wurzel-Teigtaschen, die er bei meinem Besuch verköstigt, sind wirklich lecker. Der Klimawandel zwingt die Landwirtschaft zur Anpassung. Vielleicht kann eine für hiesige Verhältnisse optimierte und für die industrielle Produktion geeignete Yams-Züchtung irgendwann eine Rolle bei dieser Anpassung spielen.
