Wehe wenn sie älter werden

Von Rainer Beutel.

Kaum werden Jugendliche erwachsen und schauen auf ihre Gehaltsabrechnung, beginnt das Dilemma: Austritt. Was die Kirche unternimmt, um junge Menschen bei der Stange zu halten, schildert im Interview mit WIR-Redakteur Rainer Beutel Pfarrerin Stefanie Bischof, die seit zehn Jahren in Nauheim seelsorgerisch tätig ist und gleichzeitig die Aufgabe als Dekanatsjugendpfarrerin wahrnimmt.

Frau Bischof, Kirchengemeinden müssen weiterhin viele Austritte bedauern, das ist bekannt. Wie stellt sich die Situation bei jungen Menschen dar?

Stefanie Bischof: Die Mitgliedschaft in der Kirche beginnt mit der Taufe, ungeachtet des Alters eines Menschen. In unserer Kirchengemeinde in Nauheim werden überwiegend Kinder getauft (und dies in erfreulich großer Zahl). Im Alter von Konfirmandinnen und Konfirmanden werden alle potenziellen Jugendlichen angeschrieben. Ca. die Hälfte bis zwei Drittel derer, die zum Konfi-Unterricht gehen könnten, machen das auch. Die anderen bleiben aber dennoch Mitglieder der Kirche. Dazu kommen jedes Jahr ein bis fünf Jugendliche, die sich im Rahmen des Konfi-Unterrichts noch taufen lassen wollen. Die meisten kommen sehr gern in den Unterricht, und wir versuchen, ihn so locker wie es geht zu gestalten und auch die Fragen der Jugendlichen zu integrieren.

Und wenn aus Jugendlichen Erwachsene werden?

Stefanie Bischof: Mit dem Eintritt ins Arbeitsleben müssen wir leider auch bei jungen Menschen eine große Zahl von Austritten hinnehmen. Wenn die jungen Menschen das erste Mal „richtig“ Geld verdienen, wenn auf dem Lohnzettel deutlich wird, mit wieviel Geld sie die Kirche unterstützen, stellt sich oft die Frage: Wie sehr nutze ich die Angebote der Kirche? Was bringt mir eine Mitgliedschaft? Und was könnte ich mit dem Geld anderes Schönes machen. Und oft geht es in diesem Alter um „haben oder nicht haben“. Viele von denen, die ausgetreten sind, haben dann wieder Kontakt zur Kirche, wenn sie heiraten oder Kinder bekommen und diese taufen lassen wollen.

Das Dekanat unternimmt eine Menge, um Kinder und Jugendliche für Kirche zu begeistern. Zum Beispiel gibt es eine dekanatsweite Fahrt der Konfirmandinnen und Konfirmanden. Um was geht es, was ist das Ziel dabei?

Stefanie Bischof: Meiner Meinung nach geht es in erster Linie um Vernetzung, das Gefühl nicht allein zu sein, sondern zu sehen, dass es viele Jugendliche gibt, die sich konfirmieren lassen. Es geht darum, miteinander eine gute Zeit zu haben und zu erleben, dass Kirche Spaß macht.

Die Evangelische Kirche widmet sich außerdem sehr ernsten Themen, etwa dem Kindesschutz. Warum ist das leider immer noch dringend und so wichtig?

Stefanie Bischof: Kindesschutz und Kindeswohlgefährdung ist nach wie vor ein sehr wichtiges Thema in unserer Gesellschaft. Kirche ist Teil dieser Gesellschaft und kann, darf und will sich nicht verschließen. Außerdem wissen wir alle, dass gerade die Kirche in diesem Bereich sehr dunkle Seiten hat (das gilt für die evangelische wie die katholische Kirche).

In der EKHN gibt es seit dem 1. Januar 2021 ein Gewaltpräventionsgesetz. Das bedeutet, dass alle kirchlichen Träger, Dekanat und Kirchengemeinden für die Implementierung von Präventions- und Schutzkonzepten in ihrem Arbeitsbereich verantwortlich sind. Die Beratungen und Schulungen zum Thema Kindesschutz von Ehrenamtlichen in diesem Bereich gehen dabei oft über die Grenzen der Kirchengemeinden hinaus. Es gibt (nicht nur) in diesem Bereich eine Zusammenarbeit mit den kommunalen Trägern.

Sie haben im Dekanat die Aufgabe der Jugendpfarrerin übernommen. Was unterscheidet dies von ihrer Rolle als Pfarrerin im Alltag einer Kirchengemeinde? 

Stefanie Bischof: Es geht mir in meiner Arbeit nicht um Missionierung. Aber klar, es ist natürlich schön und ich freue mich, wenn die Menschen wegen meiner Arbeit kommen oder bleiben. Die Arbeit als Dekanatsjugendpfarrerin ist oft eine punktuelle Arbeit. Beispielsweise plane ich Gottesdienste, z.B. um die Teilnehmenden der Jugendleitercard-Schulung nach ihrer Ausbildung für ihren weiteren Weg zu segnen. Oder ich unterstütze die Arbeit der Evangelischen Jugendvertretung im Dekanat. Ich bin Anlaufstelle und Zuhörerin für die, die in ihrer Kirchengemeinde (und darüber hinaus) kein Ohr finden oder finden wollen. Außerdem begleite ich die Hauptamtlichen Jugendmitarbeiterinnen und -mitarbeiter in ihrer Arbeit. Leider ist die Stelle der Dekanatsjugendpfarrerin nur ein Dienstauftrag, d.h. es gibt keinen Stellenanteil dafür, und die Arbeit geschieht zusätzlich zum Dienst in der eigenen Kirchengemeinde.

Im April ist im Dekanat ein Musikworkshop geplant. Immer wieder gibt es ja auch gemeinsame Freizeiten. Fängt die Kirche sozusagen mit Speck Mäuse, oder geht das Dekanat bewusst ganz andere, neue Wege? 

Stefanie Bischof: Der Musikworkshop und die Freizeiten sind schon Tradition in unserem Dekanat. Wir versuchen unser Angebot so breit und vielfältig wie möglich aufzustellen. Dabei ist das Team hoch motiviert und versucht sowohl Altbekanntes als auch Neues anzubieten. Bisher mit großem Erfolg. Die Freizeiten beispielsweise sind immer sehr schnell ausgebucht. 

„Kirche mal anders“ heißt es gegen Jahresende. Auf was dürfen sich Jugendliche da freuen?

Stefanie Bischof: Auf eine unglaublich gute Party mit vielen Gleichaltrigen in der Stadtkirche in Rüsselsheim. Das ist ein besonderer Ort und eine einmalige Möglichkeit, in der Kirche zu feiern. Die Partys werden seit einigen Jahren von der Evangelischen Jugendvertretung im Dekanat (EJVD) – übrigens tolle, sehr engagierte Menschen – organisiert und veranstaltet und sind ein großer Erfolg.

Nennen Sie doch bitte noch ein paar besondere Angebote in diesem Jahr.

Stefanie Bischof: Zum Beispiel Sommerfreizeiten für Jugendliche zwischen 1 und 17 Jahren und acht bis zwölf Jahren, Konfi-Party, die Jugendleitercard-Schulung, der Kinderferienspaß in den Osterferien in der Kirchengemeinde Nauheim, die Fahrt zum Kirchentag in Nürnberg, Ferienspiele für zu Hause in den Herbstferien und manches mehr, das auf der Homepage der Jugendvertretung (www.ejgg.de) gelesen werden kann.

Zur Person: Stefanie Bischof wuchs in Lübbenau zwischen Berlin und Dresden auf, studierte in Marburg Religionswissenschaft. Übernahm anschließend eine Vikariatsstelle in Oestrich-Winkel und war während des Vikariats ein Jahr in Peru in der spanischsprachigen evangelisch-lutherischen Kirche. Seit 2013 Pfarrerin in Nauheim.

Kontakt: kirchengemeinde.nauheim@ekhn.de

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