Wortwitz, Spannung, richtige Worte
Von Rainer Beutel.
Eine Geschichte spannend auf Papier oder den Bildschirm bringen, ist schwierig. Talente gibt es sicherlich viele. Wer davon förderungswürdig ist, entscheidet beispielsweise die Schriftsteller-Gruppe 48 und belohnt sprachliche Gewandtheit mit einem Literaturpreis. Der Nauheimer Autor Pierre Dietz erklärt WIR-Redakteur Rainer Beutel, was er damit zu tun hat – auf der anderen Seite des Schreibtisches sozusagen.
Herr Dietz, Sie gehören der Gruppe 48 an, die ein berühmtes Vorbild hat. Die Autoren sind quasi auf den Spuren von Grass, Böll, Enzensberger und vielen anderen berühmten Autoren – oder sehe ich das falsch?
Pierre Dietz: Die Gruppe 48 ist auf dem Weg, in die Fußstapfen ihres Vorgängers, der Gruppe 47, zu folgen. Ziel und Zweck ist die Förderung der deutschen Sprache. Wir suchen Talente, die das Handwerkzeug zum Erzählen spannungsgeladener Geschichten und Wortwitz reicher Poesie haben. Die genannten Autoren haben das mitgebracht. Was nutzt ein Text, den man nach drei Sätzen zur Seite legt? Die Kunst ist, aus Alltäglichem durch Spannung Interesse zu wecken. Eine Sensation ist langweilig, wenn die falschen Worte zum Einsatz kommen.
Sie erhielten quasi einen Ruf, für die Gruppe 48 ehrenamtlich als Juror zu arbeiten. Wie kam es dazu, und wie überrascht waren Sie?
Pierre Dietz: Unverhofft kommt öfter. Das Schreiben mit der Anfrage hat mich in Erstaunen versetzen. Ich habe mir die Frage gestellt, wie viele Autoren tummeln sich im deutschsprachigen Raum? Fehlt mir für eine solche Herausforderung nicht die Professur? Ich bin dem Vorstand auf Nachfrage durch meine Vielseitigkeit und meiner Publikationen wegen aufgefallen.
Was genau ist Ihre Aufgabe?
Pierre Dietz: Ich erhalte ein Kontingent an anonymisierten Texten, die ich in einer Vorrunde grob bewerte. Ich stelle mir die prinzipielle Frage, ob das Werk eine Chance hat, im Wettbewerb zu bestehen. In der zweiten Runde sehe ich die Texte unter der Lupe an. Ein sonst lesenswerter Inhalt, der durch mangelnde Form, Modeworte oder Anglizismen zerstört ist, scheidet aus. Eine gefällige Formulierung um einen leeren Inhalt fällt ebenfalls durch das Raster.
Einige Fakten bitte: Seit wann gibt es den Literaturpreis der Gruppe 48, wie hoch ist dieser dotiert, wer kann und bis wann können sich Autoren anmelden?
Pierre Dietz: Seit 2016 vergibt die Gruppe 48 jährlich eine Handvoll unterschiedlicher Preise, die sich teilweise an Themen oder Formen orientieren. Die Preisgelder sind abhängig von den jeweiligen Ausschreibungen und sind dieses Jahr mit insgesamt über 20.000 Euro ausgelobt. Darunter der Förderpreis, der mit 4.000 Euro, und der Themenpreis, der mit 5.000 Euro ausgeschrieben ist. Alle Infos hierzu auf www.die-gruppe-48.net.
Wenn Sie Texte erhalten und bewerten, wie gehen Sie vor und auf was achten Sie?
Pierre Dietz: An erster Stelle steht der Spaß am Lesen. Wenn mich der Text abholt, erwarte ich Neues. Ob Tatsache oder Fantasie ist zweitrangig, wenn die Spannung stimmt. Erst im nächsten Schritt schaue ich auf die Form. Die Rechtschreibung sehe ich nachrangig, da sich das am ehesten beheben lässt. Wer nicht für nötig hält, die vom Programm vorgeschlagenen Fehler zu korrigieren, braucht sich nicht wundern, wenn eine Absage die Hoffnung auf einen Preis verfliegen lässt.
Aus ihren Erfahrungen im Umgang mit zeitgenössischer Literatur: Wie wandelt sich unsere Sprache?
Pierre Dietz: Die Ausdrucksweise der Jugend treibt ihre eigenen Blüten. Das war zu meiner Zeit nicht anders. Das sind Ausbruchsversuche einer neuen Generation sich auszudrücken. Eine verschwindend geringe Menge an Worten bleibt im Sprachgebrauch erhalten. Eine Sprache ist nichts Statisches und unterliegt Veränderungen, die, wenn das auf natürlichem Wege geschieht, kein Problem darstellen.
Was halten Sie vom Gendern?
Pierre Dietz: Ich halte Gendern für unhöflich und geistlos. Wenn ich jemanden anspreche, habe ich die Zeit beim Reden und den Platz beim Schreiben, um beide Hauptgruppen anzusprechen. Gendern klingt entweder wie stottern oder nach einer rein weiblichen Version des Gesagten. Unter dem Strich zerstört Gendern eine Sprache und behebt nicht ansatzweise Ungerechtigkeiten bei der Entlohnung oder andere gesellschaftliche Ungleichheiten. Im Gegenteil. Aus meinem Umfeld sind die meisten dagegen und regen sich über das einseitige Vorgehen der gendernden Minderheit auf, die kein Einsehen hat und rücksichtslos vorgeht.
Was macht aus Ihrer Sicht gute Literatur der Gegenwart aus?
Pierre Dietz: Klassisch lebt am längsten. Das Vermeiden von Modeworten und der für die Mehrheit unverständlichen Jugendsprache spricht die Masse an. Wer seine Gedanken in einer verständlichen Sprache verpackt, ist ein Literat. Wer seine Sätze bis zur Unkenntlichkeit verschachtelt und mit Fachbegriffen und Fremdwörtern schmückt, ist unter Umständen Koryphäe auf einem Fachgebiet.
Reizt es Sie selbst, sich an Literaturwettbewerben zu beteiligen?
Pierre Dietz: Früher habe ich an Ausschreibungen teilgenommen. Eine Reihe von Literaturzeitschriften haben mich mit Publikationen meiner Kurzgeschichten belohnt. Unterdessen fehlt mir die Zeit für diese Herausforderung.
Und haben Sie selbst neue Projekte in Arbeit, wenn ja welche?
Pierre Dietz: Ein neuer Dokumentarfilm ist im Entstehen, und mein Sachbuch zum Thema »King« Artus ist auf dem Weg der Vollendung. Anfang September stelle ich nach langer, durch Corona bedingte Zeit meine »Luftschlösser« im Historischen Rathaus in Maintal aus.
WIR-Kolumnist Pierre Dietz arbeitet Als Juror für die Gruppe 48.
Info: Bis zur Meldefrist Mitte März erreichten die Gruppe 48 rund 800 Einsendungen. Das Preisgeld beträgt insgesamt 14.000 Euro. Der Förderpreis für 2024 für die Altersgruppe von 15 bis 30 Jahren ist bereits ausgeschrieben. Mehr über die Schriftstellervereinigung gibt es im Internet unter www.die-gruppe-48.net.
Zur Person: Pierre Dietz lebt in Nauheim, ist Autor, Grafiker, Maler und WIR-Kolumnist.
Kontakt dietz@pierre-dietz.de