Auf dem Weihnachtsmarkt

Von Ulf Krone.

„Man begibt sich nicht auf den Weihnachtsmarkt, um etwas zu kaufen, jedenfalls nichts Bestimmtes. Der Weihnachtsmarkt ist Naschmarkt. Es ist der Ort der Nüsse, der Mandeln und Maronen. Und trotzdem nimmt man auch was mit. Der Weihnachtsmarkt ist älter als der Kapitalismus, den Markt gab es vor der Marktwirtschaft. Den Markt und den Marktflecken.

Man kauft vielleicht Lebkuchenherzen oder Christstollen oder einen Christbaumständer oder hat auch nur die Idee, demnächst einen anzuschaffen. Weihnachten, das Fest der Liebe und der Besinnlichkeit, wie die einschlägigen Werbeprospekte betonen, ist dialektisch mit der Marktwirtschaft verbunden.“ (Richard Wagner)

Wie besinnlich ist ihre Vorweihnachtszeit? Haben sie schon alle Geschenke? Und denken sie beim Besuch eines Weihnachtsmarkts an ein wärmendes Kaminfeuer, heißen Glühwein und Maronen – oder doch eher an den Christbaumständer, den sie vielleicht noch kaufen wollen, die Woll-Fäustlinge, die dem Enkel oder Neffen passen könnten, oder die Bienenwachskerze, die ein schönes Geschenk für Tante Gerda wäre?

Der Weihnachtsmarkt ist so deutsch wie das Reinheitsgebot, Laubbläser im Herbst und die Mülltrennung, weshalb er auch einen eigenen Eintrag in dem philosophischen Nachschlagewerk „Die deutsche Seele“ der aus dem Fernsehen mit verschiedenen Literaturformaten bekannten Schriftstellerin und Philosophin Thea Dorn und des Schriftstellers Richard Wagner erhielt. Wenn dieser von der dialektischen Verbindung von Weihnachten und Marktwirtschaft spricht, weist er damit auf die grundsätzliche Ambivalenz speziell deutscher Weihnachtsbräuche hin.

„Eigentlich sollte es an Weihnachten um Jesus Christus gehen, um das Christkind, um seine Geburt in Bethlehem. Davon zeugen die Weihnachtsbräuche in anderen Ländern und die dort öffentlich ausgestellten Krippen […] In Deutschland ist es anders […] Hier ist es nicht die Krippe, um die es geht. Hier steht das mehr oder weniger ausgewachsene Symbol der Winterzeit – die Tanne – im Zentrum des Festes. Und das ist heidnisch. Von den Mythen bleiben die Bräuche.“

Der Anlass ist ein christlicher, doch wir feiern ihn in heidnischem Ambiente – mit heidnischen Mitteln. Uns besucht nicht das Christkind, sondern der Weihnachtsmann, der auf einem Rentier-Schlitten vom Nordpol kommt und an Coca-Cola denken lässt. Er bringt auch nicht drei ausgewählte, wertvolle Gaben, sondern gleich einen ganzen Sack voller Geschenke, was gut ist für den Einzelhandel und die Wirtschaft im allgemeinen.

An die wilde germanische und nordische Mythologie lässt sich wirtschaftlich viel besser anknüpfen als an die streckenweise deprimierende Geschichte der bettelarmen Familie in einem Stall zu Bethlehem. Die ist zur kapitalistischen Ausbeutung nur bedingt geeignet, da es kaum vermittelbar wäre, einer Schokoladen-Maria den Kopf abzubeißen. Und ganz generell ist die Geschichte der Geburt Jesu Christi keine wie selbstverständlich für Werbung zum Konsum passende, eher erzählt sie noch von Wohnungsknappheit oder überbordender Bürokratie (Volkszählung!).

Doch die geerdeten, lebensfrohen heidnischen Bräuche der verschiedenen Kulturen sind dafür wie gemacht. Denn Konsum ist lebensbejahend, und schenken zu Weihnachten heißt, Liebe zu verschenken. Das zumindest behauptet die Werbung. Und das funktioniert nun einmal besser mit Hirschen, einem aus dem Nordpolarmeer eingereisten Getränke-Vertreter und einem Sack voll Geschenken unter einem mit Blinklichtern behangenen Tannenbaum. Doch darum geht es weder in unseren germanischen oder den nordischen Mythen noch bei der Erzählung von Jesu Geburt. Es braucht kein Paar Socken, kein neues iPhone, kein Parfüm, um „Ich denk an dich“ oder „Du bedeutest mir etwas“ zu sagen. Das kann man in der Regel auch von Angesicht zu Angesicht tun – vielleicht auf dem Weihnachtsmarkt in Groß-Gerau, mit einem Glühwein und ein paar gebrannten Mandeln.

Ulf Krone
ist Redakteur beim WIR-Magazin
und studierter Philosoph;
ulf.krone@wir-in-gg.de

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