Beim Rübenhacken hat es begonnen

Von Rainer Beutel.

Landauf, landab gibt es Menschen, die sich durch ihr gesellschaftliches Engagement auszeichnen, sei es in Vereinen, im Berufsleben, in Parteien oder eher still im Hintergrund ohne großes öffentliches Aufsehen. In loser Folge stellt das WIR-Magazin Personen vor, die sich auf diese Weise aus der Masse hervorheben. Ein Beispiel ist die Nauheimer Landfrauenvorsitzende Anne Dammel (m.). Seit 42 Jahren gelingt es ihr mit tatkräftigen Mitstreiterinnen, den Landfrauenverein weit über die Ortsgrenzen hinaus bekannt zu machen. Sie würde sich immer wieder für das Ehrenamt engagieren, sagt sie im Interview mit Rainer Beutel.

Frau Dammel, beschreiben Sie bitte Ihr ehrenamtliches Engagement: Für was setzen Sie sich ein, seit wann und warum?

Anne Dammel: Ich engagiere mich für ein lebens- und liebenswertes Miteinander. Es geht mir um das Interesse am Menschen und um Anteilnahme am Leben meiner Mitmenschen. Hier steht die Verbesserung der sozialen, wirtschaftlichen und rechtlichen Situation im Vordergrund. Mir ist es wichtig Denkanstöße zu geben. Es geht mir um soziale Kontakte zu Randgruppen unserer Gesellschaft, finanzielle und ideelle Unterstützung, Kontakt zu politisch Verantwortlichen und der Öffentlichkeit, Schule, Kitas, der Dialog zwischen Landwirtschaft und Verbrauchern, das über Jahre entstandene Netzwerk und die gute Zusammenarbeit mit Vereinen und Institutionen. Für Neues offen zu sein und alte Traditionen bewahren – das sind die Themen. Hinzu kommt der Erhalt von Werten wie Respekt, Toleranz und Wertschätzung. Hier ist es wichtig, mit gutem Beispiel voran zu gehen. Frauen sollen im Verein aus dem Alleinsein kommen, andere Frauen kennenlernen und Freundschaften schließen, Freude und Spaß am Leben haben und einen Gedankenaustausch verschiedener Frauengenerationen pflegen. Mir liegen die Gemeinschaft und das Gemeinwohl am Herzen, eine vielseitige, lebendige Vereinsarbeit im Miteinander und Füreinander.

Was oder wer gab den Impuls für Sie, sich derart zu engagieren?

Anne Dammel: Seit 1975 bin ich Mitglied im Landfrauenverein Nauheim. Die damalige Vorsitzende Herta Kuhlmann hatte mich beim Rübenhacken auf dem Feld angesprochen. 1978 wurde ich in jungen Jahren zur Vorsitzenden gewählt. Aus gesundheitlichen Gründen legte Herta Kuhlmann nach fünf Jahren den Vorsitz nieder. Am Wahlabend kam die Frage, „wer ist für die Anne?“, und alle Hände gingen hoch. Ich wusste nicht, wie mir geschah, und alle Anwesenden freuten sich, dass der Landfrauenverein eine junge Vorsitzende hatte. Durch meine Ausbildung und längere Tätigkeit als staatlich geprüfte Familienhelferin in Hessen, vergleichbar mit einer Dorfhelferin in Bayern, hatte ich viele Kontakte zu Landfrauenvereinen und kannte die Strukturen. Oft wurde ich eingeladen um über meinen Beruf zu referieren. Meine Eltern hatten in Weilbach eine Landwirtschaft mit Milchsammelstelle und ein „kleines Lädsche“. Hier war Kommunikation in frühester Kindheit angesagt. Und meine Mutter war auch Mitglied im örtlichen Landfrauenverein.

Warum haben Sie so lange „durchgehalten“?

Anne Dammel: Sich weiterzubilden und das Miteinander zu pflegen, das habe ich mir von Anfang an zur Aufgabe gemacht. Es war eine Bereicherung sich mit den älteren Mitgliedern auszutauschen. Ich wurde herzlich aufgenommen respektiert und akzeptiert. Wenn ich Verantwortung übernehme, bin ich mit Herzblut dabei und denke nicht, was kommt unterm Strich für mich heraus. Ich gehe unvoreingenommen ans Werk und begegne so den Menschen. Eine Verbundenheit zum Ort ist mir wichtig, wie auch die Menschlichkeit und das Miteinander. Einfach Menschen gern haben. Mit Spaß und Freude dem Ehrenamt begegnen, Leidenschaft für die Vereinsarbeit spüren, Projekte mit Mut und Kreativität umsetzen und auch mal chaosbereit sein. Es geht um ein Wir-Gefühl: gemeinsam an einem Strang ziehen, aber auch Kompetenzen zulassen, eigenverantwortlich aktiv sein, Verantwortung übernehmen.

Wer hat Sie in all den Jahren unterstützt, gefördert, begleitet?

Anne Dammel: Es gab und gibt viele, die mich gefördert, begleitet und den Rücken freigehalten haben. Es wäre zu aufwendig, alle zu nennen. In erster Linie aber meine Familie, mein Mann und die Vorstandsmitglieder. Außerdem Landräte, Bürgermeister, Pfarrer, Lehrkräfte, Vereine, Kerweborsch, Jugendfeuerwehr, Jugendrotkreuz, Pfadfinder, MS-Gruppe, Institutionen, Referenten, die Presse, Menschen die mir begegnen und in die gleich Richtung blicken. Ich sage an der Stelle ein dickes DANKE! Gemeinsam ein Ganzes schaffen und Großes bewegen, das ist wichtig für mich.

Würden Sie sich wieder so entscheiden oder lieber nochmal etwas anderes machen?

Anne Dammel: Ich würde mich wieder für das Ehrenamt entscheiden, habe viele Menschen kennen und schätzen gelernt. Ich habe mich mit Themen auseinander gesetzt, mit denen ich mich sonst bestimmt nicht beschäftigt hätte. Es ist eine wertvolle Zeit für mich, ohne sie wäre ich in meinem Denken, Tun, Handeln und Empfinden ärmer.

Gab es denn auch Rückschläge?

Anne Dammel: Ja, schwierige Momente, die mich seelisch sehr belasteten und mir nicht gut taten. Hier gab mir meine Familie, mein Mann Kraft und Energie, um das Dringliche, das ich von mir abverlangt habe, besser zu bewältigen. Wichtig war für mich, der Verein muss weiter bestehen und die schlechten Ereignisse müssen besonnen und vernünftig angegangen werden. Und wir haben es geschafft. Viele Mitglieder bewunderten meine Haltung und mein Durchhaltevermögen. Aber ich gehöre nicht zu denen, die resignieren und die Flinte ins Korn werfen. Für mich gab es nur eins – nach jeder dunklen Wolke kommt auch wieder Sonnenschein.

Was war Ihr schönstes Erlebnis?

Anne Dammel: Viele in 42 Jahren Ehrenamt. Etwa die Ehrungen, die ich wegen meiner ehrenamtlichen Arbeit entgegennehmen durfte. Die Feste die wegen meiner Person vom Vorstand arrangiert wurden, werde ich nicht vergessen. Ein besonders schönes Erlebnis, das mich sehr berührt hat, war, als wir zusammen mit Pfarrerin Birgit Schlegel, der heutigen Dekanin, die Ahmadiyya-Frauengruppe in der Evangelischen Kirche in Nauheim empfangen haben. Christinnen und Muslime trafen sich, um voneinander zu erfahren und Parallelen ihrer Religionen zu erkennen. Beeindruckt hat mich auch, als Landfrauen und Muslimische Frauen die Jüdische Synagoge in Darmstadt besuchten.

Was würden Sie im Rahmen ihres Engagements nochmal gerne erleben?

Anne Dammel: Oh, da würde der Platz nicht reichen. Ob bei geselligen Anlässen Vorträge Arbeitseinsätze, Festen und vor allem die tollen Fahrten von der Planung bis zum Start. Ein Beispiel: Bei einer Toskana-Fahrt habe ich mit Absprache der Hotelleitung die Landfrauen mit einem vorgetäuschten Personalstreik ohne Frühstück und verschlossenen Räumlichkeiten in den April geschickt. Das war so echt und glaubhaft. Jedes Ereignis war und ist ein Highlight. Immer war Unbeschwertheit, Neugier, Interesse, gepaart mit viel Freude, dabei.

Was können Sie an Jüngere weitergeben und wie gelingt das (hoffentlich)?

Anne Dammel: Ich kann den jungen Menschen nur empfehlen, sich im Ehrenamt zu engagieren, anzupacken für sich für uns alle. Gutes tun und dabei Spaß haben. Dabei verbessert sich nicht nur die Lebenssituation. Es steigert die Lebensqualität. Denn kaum ist etwas erfüllender als mit den eigenen Talenten und Fähigkeiten das Leben anderer Menschen zu bereichern. Das Engagement wird belohnt. Mit Dankbarkeit, sozialen Beziehungen und dem besonderen Gefühl, etwas Gutes zu tun. Hier ist der Wille zum Wollen gefragt. Das Ehrenamt ist eine dauernde Aufgabe, für die es sich zu leben lohnt. Ich wünsche mir, dass auch weiterhin junge Menschen vom Ehrenamt-Virus infiziert werden. Wir müssen den jungen Leuten Vertrauen entgegenbringen, so dass sie Sinnvolles für die Gemeinschaft tun, ihnen Anerkennung schenken, sie an die Hand nehmen und ihnen vorleben, was es heißt ehrenamtlich tätig zu sein. Die Vorbildfunktion ist ein wichtiger Aspekt. Wir wollten im „Wir“ leben und nicht im „Ich“.

Was haben Sie sich für die nächsten fünf Jahre vorgenommen?

Anne Dammel: Die nächsten fünf Jahre lasse ich, wie ich es schon immer handhabe, auf mich zukommen und versuche jeden Tag zu meinem Besten zu machen. Es wird Freude geschenkt und empfangen. Man spürt es kommt etwas zurück, teilt seine Lebenszeit mit anderen, pflegt Kontakte, findet Anerkennung dabei, profitiert privat und beruflich profitiert, dazu kommt das sinnvolle Handeln. Man gibt Kenntnisse und Erfahrungen weiter, außerdem wächst man an einer Aufgabe und trägt zum Gemeinwohl bei. Und das Wichtigste dabei: Mitmenschlichkeit leben.

Landfrauen Nauheim

Zur Person: Anne Dammel 1952 in Flörsheim-Weilbach geboren, ist staatlich geprüfte Familienhelferin und ländliche Hauswirtschaftsmeisterin, seit 1974 mit Landwirt i.R. Gerhard Dammel verheiratet, Mutter von drei Kindern und Großmutter einer Enkelin. Kontakt: flettrat@gmail.com

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