Ein Ukrainer in Nauheim
Von Rainer Beutel.
Wie geht ein in Nauheim wohnender Ukrainer damit um, dass seine Verwandten in Kiew Tag und Nacht um ihr Leben fürchten müssen? Was denkt der 42-jährige Mann über Putin? Wie erklärt er sich, was da passiert und von fast der ganzen Welt verurteilt wird?
Sergey Siradchuk stammt aus der Ukraine und lebt in Nauheim. Vor elf Jahren war er einer der ersten, der sich aus der Ukraine in den Westen aufmachte, um sich beruflich zu verändern.
Seit 2015 ist er bei Opel, heute Stellantis, als Ingenieur beschäftigt. Auch sein Bruder lebt in Nauheim. Nicht aber die Eltern. Vater, Mutter und ein Cousin sind in Kiew. „Sie sind gesund“, beschreibt er kurz die ungewöhnlichen Umstände. „Seit dem ersten Tag des Krieges versuche ich, meine Eltern davon zu überzeugen, ihr Land zu verlassen“ erzählt Sergey Siradchuk in gutem Deutsch. Doch Mutter und Vater wollen bleiben. Den Kontakt zu ihnen könne er über Video-Chats herstellen. „Noch geht das Internet“, versicherte er vor einigen Tagen. Er würde sie gerne überzeugen, sich anders zu entscheiden und zu fliehen. Hinfahren und helfen, mitten in den Krieg hinein, kann er nicht. „Wegen der Tochter“, blickt er traurig auf. Kaum jemand habe sich vorstellen können, so etwas zu erleben. Die Angst vor einer Eskalation, etwa dass Putin alles bombardieren lasse, was sich den Russen in den Weg stelle, wachse mit jedem Tag, erklärt Siradchuk. „So wie in Syrien oder Tschetschenien, nur um zu eliminieren.“
Im Rückblick auf die Tage, Wochen und Monate vor dem Krieg, in denen russische Truppen an der Grenze zur Ukraine aufmarschierten, ist für den Ukrainer klar: „Wir waren alle blind.“ Die freie Welt habe es versäumt, Regeln zu schaffen, die den Angriff vielleicht hätten verhindern können. „Jetzt stehen wir vor einem potenziellen Weltkrieg“, warnt Siradchuk, um die für ihn einzige, denkbare Konsequenz zu nennen: „Die einzige Person, die das stoppen kann, ist Putin.“ Den russischen Präsidenten hält er für „paranoid“, „kriminell“ und „krank im Kopf“. Er betont, „Putin ist kein normaler Mensch“.
„Die Welt ist in Putins Falle getappt“, ist er sicher. Für einen Russen gebe es keine Win-win-Situation, wie im Westen. In der russisch-mongolischen Tradition drehe sich alle nur um den eigenen Vorteil, den Sieg, die Okkupation und die pure Kraft. Verhandlungen und verlässliche Abmachungen zählten nicht. „Andernfalls ist man tot.“
Für sich hat Siradchuk einen Weg gefunden, seine Angst, den Druck und den inneren Ärger zu kanalisieren. Er versucht, die daraus aufgestaute Energie in Hilfsprojekte zu leiten und ist froh, dass nun allerorten Projekte angelaufen sind, um die Ukraine zu unterstützen.
Sergey Siradchuk steht als Ansprechpartner für Fragen und Hilfsangebote zur Verfügung. Kontakt per WhatsApp unter 0176-34588033 oder per E-Mail: sergey.siradchuk@gmail.com
Der Kreis Groß-Gerau hat auf seiner Homepage unter dem Stichpunkt „Solidarität mit der Ukraine. Informationen und Unterstützungsangebote“ aufgelistet: www.kreisgg.de