Häuser für 6640 Reichsmark

Von Lothar Walbrecht.
Viel ist nicht mehr übrig geblieben von den einstigen kleinen Häuschen der „Siedlung“ in Nauheim. Dieses Neubaugebiet entstand in den Jahren 1937 bis 1941. In dieser Zeit sollten in drei Bauabschnitten insgesamt 16 kleine Siedlungshäuser von der Nassauischen Heimstätte GmbH, Frankfurt am Main, treuhänderisch errichtet werden. Geplant waren rund 50 Siedlungshäuser sowie ein HJ-Heim.
Im ersten Bauabschnitt wurden fünf Häuser gebaut, im zweiten und dritten Bauabschnitt sollten die restlichen elf Siedlungshäuser entstehen. Auf den etwa 750 bis 900 Quadratmeter großen Grundstücken sollten die neuen Besitzer neben etwas Landwirtschaft auch Kleintierhaltung betreiben. Dafür verfügten die Siedlungshäuser entweder über einen Hühner- und Ziegenstall am Haus oder über ein freistehendes kleines Stallgebäude auf dem Grundstück.
Die Siedlungshäuser hatten im Kellergeschoss eine Waschküche sowie einen Kellerraum. Im Erdgeschoss befanden sich der Eingang und ein WC, bevor man über den Flur und das Treppenhaus in die Wohnküche gelangte. Vom Flur aus erreichte man außerdem ein Schlafzimmer. Ein weiteres kleines Zimmer war von der Wohnküche aus zugänglich. Im Dachgeschoss befanden sich ein weiteres Schlafzimmer sowie eine kleine Kammer. Insgesamt hatten die Häuser eine Wohnfläche von rund 65 Quadratmetern. Je nach Größe der Grundstücke bzw. je nach Ausstattung der jeweiligen Häuser mit angebautem oder freistehendem Stall beliefen sich die Gesamtkosten auf 6.640 bis 7.300 Reichsmark. Die Planung für das Neubaugebiet der „Siedlung“ begann 1937 mit dem Ankauf einiger privater Grundstücke durch die Gemeinde Nauheim. Darüber hinaus musste das Waldstück hinter dem Sporthaus bis zum Schwarzbach gerodet und hergerichtet werden. Gleichzeitig wurden Interessenten für die Siedlungshäuser erfasst. Die gesamte Baufläche kaufte anschließend die Nassauische Heimstätte GmbH, die daraufhin die Parzellen für die ersten Neubauten einmessen ließ. Bereits 1939 konnten die ersten fünf Bürger der Siedlung ihr Eigenheim in Besitz nehmen.

Weitere Neubauten folgten, jedoch stockte der Weiterbau kriegsbedingt. Bis Anfang 1940 wurden vier weitere Siedlungshäuser fertiggestellt. Am 27. März 1941 meldete die Nassauische Heimstätte GmbH fünf weitere Hausbesitzer. Somit waren 14 Siedlungshäuser fertiggestellt.
Mit diesem Schreiben wurde auch der Gemeinde Nauheim mitgeteilt, dass „die Siedlungsstellen auf den Parzellen Nr. 31/8 und Nr. 31/9 z. Zt. nicht errichtet werden können.“ Ressourcen für Baumaterial für Einfamilienhäuser waren nicht mehr verfügbar. Alle Baumaterialien wurden für Kriegsbauten benötigt.
Die Häuser der „Siedlung“ hatten die Bezeichnung „Siedlung 1“ bis „Siedlung 19“. Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt die „Siedlung“ den Straßennamen „Goethestraße“. Erst nach dem Krieg wurde diese Straße bis zur Waldfriede mit Wohnhäusern bebaut.
Heute hat sich das Erscheinungsbild drastisch verändert. Nur noch wenige der einstigen Siedlungshäuser existieren im Originalzustand. Viele wurden bereits abgerissen, und auf den großen Grundstücken entstanden Mehrfamilienhäuser oder die kleinen Häuschen wurden um Anbauten erweitert. Interessant ist, dass in den wenigen erhaltenen Aufzeichnungen über Kriegsschadensfälle eine detaillierte Dokumentation über die Schäden an diesen Häusern existiert. Mit einem Schreiben vom 12. Juni 1944 an die Bürgermeisterei Nauheim wurde mitgeteilt, welche Schäden bei einem Bombenabwurf in dieser Siedlung entstanden. Bei einem Luftangriff der britischen Royal Air Force auf die Stadt Frankfurt am Main am 18. März 1944 musste vermutlich ein beschädigter Bomber seine Bombenlast loswerden. Diese Bomben fielen östlich der „Siedlung“ auf freies Feld. Durch die Druckwelle der Explosionen wurden alle Siedlungshäuser beschädigt.
Heimat- und Museumsverein Nauheim

ist stellvertretender Vorsitzender des
Heimat- und Museumsvereins Nauheim