Turnschuhe und Tutanchamun
Von Jürgen Volkmann.
Groß-Gerau ist eine Stadt mit vielen Vorzügen und einer Gewerbelandschaft, in der manche Entdeckung zu machen ist. Die Firma 4D Concepts im Gewerbepark Alte Brauerei ist so ein Unternehmen. Wenn es um Prototypen und Modelle von komplexen Aggregaten im Maschinenbau, Modelle neuer Sportschuhe oder auch um historische Replikate für Museen geht, finden die 20 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von 4D Concepts individuelle Lösungen. Jürgen Volkmann hat sich mit den beiden Geschäftsführern Ulrike Neumann und Alex Di Maglie (Foto) unterhalten.
Seit wann gibt‘s das Unternehmen, Frau Neumann?
Ulrike Neumann: Mein Mann hat es 1995 gegründet. Er war beim damaligen Weltmarktführer 3D-Drucker-Systeme beschäftigt, dessen Gründer Mitte der 1980er Jahre das Urverfahren für den 3D Druck, die Stereolithografie, patentieren ließ. Und mein Mann hat sich dann entschlossen, selbst unternehmerisch in diesem Bereich tätig zu werden. Es gab damals noch wenige bis keine Dienstleister, wir waren zu der Zeit federführend im Markt tätig.
Was sind heute beispielhaft die Produkte?
Alex Di Maglie: Das ist ein sehr breites Spektrum. Ich definiere es mal von A bis Z, von der Automobilindustrie, d.h. den ganz großen Bauteilen, bis zu den ganz kleinen, etwa in der Zahnmedizin. Unsere Kunden kommen aus allen Branchen, ob es jetzt ein Zahnbürsten-Entwickler ist oder ein Museum, ob‘s darum geht, beim Auto Einbauversuche mit der projektierten Innenausstattung zu machen oder ein neues Lenkrad, eine neue Felge als Prototyp in den Händen zu haben, alles, was mit Design, mit Technik und Architektur zu tun hat, gehört dazu.
Was ist das theoretische Prinzip des 3D-Drucks?
Alex Di Maglie: Einfach gesagt bedeutet 3D-Druck, dass man Schichten aufbaut, man muss sozusagen irgendwie aus der X-Y-Ebene nach oben kommen, und dies Schicht für Schicht. Dazu braucht man eine Software, die das Modell in ganz viele Schichten, so wie beim MRT, aufteilt. Anschließend werden z.B. beim Urverfahren, der Stereolithografie (SLA), die Einzelschichten mit einem Laser bearbeitet, der jede Schicht aushärtet und mit der darunterliegenden verbindet. Man muss sich vorstellen, dass wir inzwischen in der Lage sind, 16µm/Mikrometer-Schichten (0,016 mm) zu erzeugen, d.h. sie sehen sie dann am Modell nicht mehr. Konventionell könnte man solche Feinheiten gar nicht herstellen. Dazu haben wir 9 unterschiedliche Druckverfahren im Haus und können, sagen wir mal, auf 95% der Kundenanforderungen reagieren.
Wir sprechen gerade von drei Dimensionen. Was hat es mit der 4. Dimension in Ihrem Firmennamen auf sich, Frau Neumann?
Ulrike Neumann: Dadurch, dass Rechnerleistung und Know-how eine enorme Entwicklung genommen haben, sind wir in der Lage, Prototypen innerhalb kürzester Zeit herzustellen und dies kommt mit dieser Titulierung zum Ausdruck. Man nennt es auch „Rapid Prototyping“. Bei uns ist ein Projekt, das über zwei Wochen läuft, schon lang. Normalerweise ist es innerhalb von 4, 5 oder 6 Tagen erledigt.
Was sind beispielhaft Aufträge, die bei Ihnen eingehen?
Alex Di Maglie: Im Bereich Pharmaindustrie z.B. ein Molekülmodell, das für eine Präsentation benötigt wird. Aber auch Werkstücke wie Greifer für eine Tablettenabfüllanlage, wo man, um Gewicht, Material und Kosten einzusparen, auf den 3D Druck zurückgreift. Was wir viel machen, sind Aufträge für Museen wie z.B. die Grabplatte des Wiprecht von Groitzsch (1050-1124) für das Staatliche Museum für Archäologie Chemnitz, die dann nachträglich von Restauratoren koloriert wurde – vom Original nicht zu unterscheiden. Hier in der Nähe arbeiten wir schon seit vielen Jahren mit dem Leibnitz-Zentrum für Archäologie in Mainz zusammen. So ist seinerzeit die Transport-Verpackung für die Maske des Tutanchamun für den Flug von Kairo nach Mainz von uns hergestellt worden. Das ist die Geschichte, wo die Putzfrau die Spitze vom Bart abgebrochen hat und die Mainzer damit beauftragt wurden, sie in ihren Restaurierungswerkstätten wieder zu reparieren. Ja, es stehen zahlreiche Modelle von uns in Museen, z.B. in Frankfurt, Torgau, Dresden u.a.
Was zeichnet denn für Sie den Standort Groß-Gerau im Kontext des Rhein-Main-Gebiets aus?
Ulrike Neumann: Zur Zeit der Unternehmensgründung war es noch wichtiger als heute, weil wir das digitale Zeitalter noch nicht hatten. Da wurden Datenträger noch verschickt oder der Kunde kam selbst vorbei. Heute decken wir das ab mit Web Call und Datenaustausch. Bestellungen kamen früher per Fax oder mit der Post, die Bezahlung teilweise per Scheck – das hat sich wahnsinnig verändert. Auch der Versand ist viel effektiver, weil die Versanddienstleister breiter aufgestellt sind. Der Standort ist aber für Kunden, die uns besuchen, perfekt, weil sie von der Autobahn runterfahren und unmittelbar bei uns ankommen.
Es wird aktuell viel über die vielfältigen Probleme des Wirtschaftsstandortes Deutschland gesprochen. Sind Sie für Ihren Bereich eher zuversichtlich oder weniger?
Alex Di Maglie: Ja, wir schauen zuversichtlich nach vorne. Es gibt viele Mitbewerber, die sich auf eine Technologie spezialisiert haben. Das haben wir nicht gemacht. Wir haben eine große Breite des Angebots mit intensiver persönlicher Beratung unserer Kunden, damit sie die richtigen Anwendungen, die richtigen Materialien und Eigenschaften finden. Dafür halten wir ca. neun Technologien vor, nutzen aber vielleicht in einem Monat nur zwei, und das ist natürlich wirtschaftlich eine Herausforderung. Nur so können wir allerdings den Kunden Alternativen anbieten, während der Spezialist nur eine Lösung parat hält.
Was schätzen Sie an Groß-Gerau als Lebensmittelpunkt?
Ulrike Neumann: Ich schätze das vielfältige Bildungsangebot der Schulen, kulturell ist alles nah zu erreichen ebenso wie die Erholungsräume von Odenwald, Taunus und Rhein. Man hat es nicht weit, um Abwechslung und Entspannung zu finden. Bei mir ganz oben auf der Liste, das Groß-Gerauer Schwimmbad oder der Steindamm am Rhein in der Treburer Gemarkung – prima mit dem Fahrrad zu erreichen.
Gibt‘s Wünsche an die Entwicklung in Groß-Gerau, Frau Neumann, Herr Di Maglie?
Alex Di Maglie: Man muss aufpassen, dass nicht noch mehr Angebot in der Innenstadt wegfällt, wie z.B. Bäcker – Metzger fehlen ja ganz. In jeden Laden, der schließt, kommt ein Restaurant oder ein Café rein, das ist ein wenig zu viel. Zum Glück gibt es das Kaufhaus Braun, das vieles bietet!
Frau Neumann, Herr Di Maglie, ich danke Ihnen für das Gespräch.