Ausbildung im Handwerk

Von Rainer Beutel.

Bruno Walle sagt, es ist noch nicht zu spät, sich selbst im November noch für eine Ausbildung in einem Handwerksberuf zu bewerben. Zumal noch viele Stellen frei sind. Und Sinn macht es auch, findet der DGB-Vorsitzende des Ortsverbands Groß-Gerau, denn solide und sichere Jobs bieten Handwerk und Industrie allemal, betont er im Interview mit WIR-Redakteur Rainer Beutel. 

Herr Walle, ich zahle gerne fünf Euro fürs Phrasenschwein, aber mal grundsätzlich gefragt: Hat das Handwerk noch goldenen Boden? 

Bruno Walle: Goldenen vielleicht nicht, auf jeden Fall aber einen soliden Boden. Eine Ausbildung im Handwerk oder in der Industrie bietet einen sicheren Job. Auch auf dem Bau. Denn gebaut wird auch im Kreis Groß-Gerau immer: Straßen, Brücken, Gleise … und vor allem Wohnungen. Dazu kommt das „Mammutprogramm der Klimasanierungen“ von Gebäuden. Der Bau bietet zudem den Vorteil einer eigenen Altersvorsorge. 

Wenn dem so ist, müssten sich junge Menschen um die Ausbildungsplätze der Handwerksbetriebe im Kreis alljährlich reißen. Wie ist die allgemeine Lage und wie sieht es speziell in der Baubranche aus? Welche Berufe sind besonders gefragt?

Bruno Walle: Es ist schade und auch nur schwer nachzuvollziehen, dass von den insgesamt 1.391 Ausbildungsplätzen, die im Kreis Groß-Gerau bei der Arbeitsagentur für das gerade begonnene Ausbildungsjahr gemeldet wurden, immer noch 37 Prozent unbesetzt sind. Im Landkreis Groß-Gerau gibt es noch 520 freie Ausbildungsplätze – darunter 41 auf dem Bau. Ich berufe mich dabei auf aktuelle Zahlen der Arbeitsagentur (Anm. d. Red.: Stand Mitte Oktober 2023). Nahezu in allen Handwerksberufen besteht ein Mangel an ausbildungswilligen jungen Menschen.

Welche Fristen sollten beim Beginn einer Ausbildung generell berücksichtigt werden?

Bruno Walle: Eigentlich ist Ausbildungsbeginn mit dem Start ins neue Schuljahr, jedoch: Es ist noch nicht zu spät, in letzter Minute noch die ‚Azubi-Ausfahrt‘ zu nehmen und die Karriere mit einer Berufsausbildung zu starten – das funktioniert auch jetzt noch. Jugendliche können bei den meisten Betrieben noch weit bis in den Herbst hinein eine Ausbildung anfangen.

Für wen eignet sich eine Ausbildung beim Bau?

Bruno Walle: Für junge Menschen die an Technik interessiert sind, die Abwechslung mögen, handwerkliches Geschick besitzen, keine Angst vor frischer Luft haben und es mögen, dass man die Ergebnisse seiner Arbeit auch sehen kann.

Wie sind die Verdienste im Vergleich mit anderen Handwerksberufen? Oder anders gefragt: Was verdient ein junger Mensch als Berufsanfänger?

Bruno Walle: Im Vergleich zu anderen Branchen verdient man schon früh Geld – und zwar gutes Geld. So startet ein Azubi auf dem Bau bereits mit einer Ausbildungsvergütung von 935 Euro pro Monat. Im dritten Ausbildungsjahr haben die jungen Leute bereits 1.495 Euro im Portemonnaie. Arbeitet man nach der Ausbildung im erlernten Beruf so liegt der monatliche Tarifbruttolohn je nach geleisteten Arbeitsstunden derzeit bei ca. 3.800 bis 3.900 Euro.

Heute sprechen alle über die Digitalisierung in den Berufen. Wie sieht es hier beim Bau aus? Werden digitale Kenntnisse benötigt oder vermittelt und wenn ja, für was?

Bruno Walle: Wer eine Ausbildung in einem der 18 Bauberufe macht, ist up to date: Es läuft jede Menge digital. Auch der Bau hat enorme technische Reize – von der Steuerung großer Baumaschinen über raffinierte Gebäudetechnik bis zu innovativen Baustoffen.

Ganz allgemein: Bietet die Baubranche sichere Jobs? Es gibt ja beispielsweise wegen hoher Zinsen Einbrüche in der Immobilienbranche und -nachfrage, die sich auf den Bau auswirken könnte.

Bruno Walle: Die Zinsen sind hoch, zumindest im Vergleich zu den letzten Jahren wobei ich mich an Zeiten erinnere in denen sie fast dreimal so hoch waren. Problem sind m.E. neben den gestiegenen Bau- und Grundstückspreisen die Überbürokratisierung der Bauprozesse sowie die Dauer der Genehmigungsverfahren. Die augenblickliche Abwärtsspirale muss gestoppt werden.

Sie sprechen jetzt als Gewerkschafter, oder?

Bruno Walle: Ja, als Gewerkschafter fordere ich die Politik auf, übrigens im Gleichklang mit dem Verband baugewerblicher Unternehmer Hessens, hier für Abhilfe zu sorgen. Die sich neu konstituierende Landesregierung muss ihre angekündigte TaskForce so schnell wie möglich einsetzen, um Bauen wieder billiger zu machen: Planungs und Genehmigungsprozesse müssen vereinfacht, digitalisiert und beschleunigt werden. Dabei darf auch der Bereich Verkehr und Infrastruktur nicht vernachlässigt werden. Es besteht nicht nur ein enormer Sanierungsbedarf bei Brücken, Schiene und Straßen. Um lebenswerte Wohnquartiere zu schaffen, muss die Infrastruktur in neuen Wohngebieten ebenfalls im Fokus stehen. Ich erwarte eine praxisnahe Unterstützung der Kommunen durch das Land. Bezahlbarer Wohnraum kann nur entstehen, wenn die Wohnungsgesellschaften der öffentlichen Hand mehr bauen.

Abschließend noch eine Frage nach den Karrieremöglichkeiten im Bau, wie sieht es da aus?

Bruno Walle: Nach der Gesellenprüfung kann, wer es möchte, die Karriereleiter schnell hochsteigen. Der Polier managt die komplette Baustelle. Der Weiterqualifikation sind durch den Meisterbrief, die Technikerschule oder gar das Ingenieurstudium kaum Grenzen gesetzt.

Zur Person: Bruno Walle (1958 in Mandelbachtal im Saarland geboren), engagierte sich ab 1979 in der Gewerkschaft IG Bauen Agrar Umwelt (IG BAU), seit 2016 Vorsitzender des Kreisvorstands Groß-Gerau, seit 2017 Mitglied im Regionalrat, seit 2022 Vorsitzender des IG BAU Bezirksvorstands Rhein-Main sowie seit 2017 Vorsitzender des DGB-Ortsverbands Groß-Gerau. Der ausgebildete Hochbaufacharbeiter, Maurer, Beton- und Stahlbetonbauer und studierte Bauingenieur (Dipl. Ing) gehört unter anderem seit 1985 dem Prüfungsausschuss der IHK (Bauzeichnerinnen und Bauzeichner) an.

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