Enkeltaugliche Landwirtschaft

Von Rainer Beutel.

Können Sie entscheiden, ob Sie im Supermarkt einen konventionell angebauten Apfel aus Deutschland oder einen ökologisch angebauten aus Chile kaufen sollen? Und was ist mit Lagerung und Transport? Regionale, saisonale Erzeugnisse einer solidarischen Landwirtschaft (SoLaWi) helfen, einen großen ökologischen Fußabdruck zu vermeiden. Toni Groß, Vorsitzender des seit Ende 2017 bestehenden Vereins „Bio SoLaWi Auf dem Acker“ in Königstädten, erklärt das Konzept im Interview mit WIR-Redakteur Rainer Beutel.

Herr Groß, unter welchen Umständen ist Landwirtschaft solidarisch“?

Toni Groß: Die Idee, die dahintersteckt, soll Höfen oder Bauern eine zusätzliche sichere Finanzierungsquelle bieten – und somit im besten Fall die Kleinwirtschaft erhalten und das Höfesterben beenden. Konkret bedeutet es, dass sich Verbraucher auf lokaler Ebene zusammentun und ihrem Partner-Hof (bzw. -Landwirt oder -Gärtner) finanzielle Mittel zukommen lassen, damit diese dann eine Landwirtschaft im Sinne der Verbraucher aufbauen bzw. erhalten. 

Die wöchentliche Ernte der Kulturen wird unter den Mitgliedern verteilt. Dadurch wird ein Stück des Drucks und Risikos für den Landwirt rausgenommen, weil der Totalausfall einer einzelnen Kultur eben keinen finanziellen Ausfall bedeutet. 

Woher stammt die Idee?

Toni Groß: Das Konzept ist alles andere als neu, es stammt aus den 60er Jahren und ist in Japan entstanden. In Deutschland bestehen die ältesten SoLaWis meines Wissens seit rund 30 Jahren. Es geht auch darum, dass Preisschild vom einzelnen Lebensmittel zu entfernen und eine Wertschätzung für die Landwirtschaft zu erlangen – denn sie ist die Grundlage unserer Ernährung.

Wer kann sich in ihrem Verein „Bio SoLaWi Auf dem Acker“ engagieren?

Toni Groß: Wie die meisten Vereine sind wir ein Verein zum Mitmachen und Anpacken, d.h. es sind ein paar Pflichtstunden auf dem Acker vorgesehen: Etwa zehn Stunden pro Jahr; entspricht zwei Arbeitseinsätzen im Jahr. Das soll aber niemanden davon abhalten mitzumachen, wenn also z.B. eine ältere Person nicht so kräftig mitanpacken kann, vielleicht bei der Kartoffelernte, so kann sie aber eventuell auf die Kinder anderer Mitglieder aufpassen, denn Kinder sind ebenfalls gerne auf dem Acker gesehen.

Was müssen Mitglieder mitbringen oder können?

Toni Groß: Zunächst mal ist keinerlei gärtnerische oder landwirtschaftliche Vorbildung notwendig. Die meisten unserer Mitglieder treten dem Verein bei, weil sie neugierig sind auf diese andere Art der Landwirtschaft. Durch die Organisationsform des Vereins können die Mitglieder selbst direkt Einfluss nehmen auf die Anbaumethoden (kein künstlicher Dünger, keine Pestizide/Herbizide). Es ist die Kombination aus „Ich bekomme ‚gesunde‘ Lebensmittel und erhalte dabei zusätzlich den Boden durch schonende Anbauverfahren“ und „Die Vielfalt der Kulturen begünstigt eine artenreiche Tiervielfalt vor Ort, Stichwort: Insektensterben“. Es ist also letztlich aktiv gelebter Naturschutz, der langfristig angelegt ist. Daher nennen wir es gerne enkeltaugliche Landwirtschaft. 

Laut Satzung wollen sie eine ökologische, klimagerechte und soziale Landbewirtschaftung erproben. Was ist mit „erproben“ gemeint? Ist das alles nur ein Versuch, der scheitern kann?

Toni Groß: Das sage ich jetzt nicht gerne, aber ja: Das kann scheitern. Von den Netzwerktreffen weiß ich, dass es SoLaWis gibt, die nur 2-3 Jahre alt werden. Ökologische Landwirtschaft hingegen ist etabliert; diese ist mehr oder weniger automatisch auch klimagerecht – zumindest bezogen auf eine SoLaWi mit minimalen Transportwegen, ohne Lagerung, kein künstlicher Dünger, keine Pestizide/Herbizide. 

Wie erlangt eine SoLaWi Planungssicherheit?

Toni Groß: Im Konzept einer SoLaWi verpflichtet sich ein Mitglied jeweils für ein volles Anbaujahr. Andernfalls kann gar keine zuverlässige Finanzplanung durchgeführt werden. Denn Grundlage für diese Finanzplanung ist im Prinzip, dass die Kosten für die Gärtnerstellen und Saatgut, Maschinen usw. vorher gedeckt sein müssen, sonst kann kein Betrieb stattfinden. Wir wissen von den Netzwerktreffen, dass SoLaWis jedes Jahr einen gewissen Anteil ihrer Mitglieder verlieren können. Den Verlust an Mitgliedern muss eine SoLaWi wieder wettmachen, bevor man überhaupt ans Wachsen denken kann. Bisher hat das zwar immer geklappt, aber das kann auch schiefgehen. 

Ändert sich Landwirtschaft generell, oder ist die Bio SoLaWi ein einsamer Vorreiter?

Toni Groß: Mittlerweile gibt es über 500 SoLaWi-Betriebe in Deutschland – Tendenz steigend. Es gibt immer mehr Menschen, die sich für die Art und Weise interessieren, wie ihre Lebensmittel hergestellt werden und aktiv darauf Einfluss haben möchten. Dafür ist eine SoLaWi im Allgemeinen der richtige Ort. Der Flaschenhals ist hier natürlich der- oder diejenige, der die tägliche Arbeit auf dem Acker leistet. Es gibt immer mehr Leute, die sich für ein solches Berufsbild begeistern, aber der Bedarf an fähigen Kräften ist enorm. Daher wollen wir auch jungen Menschen in der Ausbildung die Möglichkeit bieten, in einem laufenden Betrieb ein Praktikum zu absolvieren. Die Erfahrungen, die wir mit dem landwirtschaftlichen Nachwuchs gemacht haben, sind überaus positiv.

Wohin muss Ihrer Meinung nach Landwirtschaft entwickeln, gerade angesichts des Klimawandels?

Toni Groß: Ein Problem der Landwirtschaft ist, dass sie sich dem Preisdruck der Supermarktketten beugen und in erster Linie Top-Qualität zu niedrigen Preisen anbieten muss. Dazu lautet das Konzept generell: wachsen, wachsen, wachsen. Genau davon wollen wir weg. Wir brauchen keine Konzerne, die über riesige Flächen herrschen und den Boden ausbeuten. Wir brauchen kleinteilige Landwirtschaft vor Ort, die klimaverträglich arbeitet. Der Klimawandel ist ein riesiges Problem, wir hatten in unserer Zeit alleine drei starke Dürreperioden zu überstehen, und das wird wohl leider erstmal der Normalfall bleiben. Daher werden neue oder alte, aber fast vergessene Methoden ausprobiert, wie man die Landwirtschaft besser mit den neuen Klimabedingungen in Einklang bringen kann, z.B. mit einer Tröpfchenbewässerung.

Wie finanziert sich das alles, und bekommen sie Unterstützung von der öffentlichen Hand?

Toni Groß: Abgesehen von den Mitteln, die jeder Betrieb für seine bewirtschaftete Fläche bekommt (dabei spielt es keine Rolle ob konventionell oder ökologisch), finanzieren wir uns selbst. Die Mitglieder bezahlen einen sogenannten Solidarbeitrag, mit dem die Arbeit auf dem Acker gewährleistet wird.

Wie können Interessierte den Verein kennenlernen?

Toni Groß: Wir bieten regelmäßig Ackerführungen und Informationsveranstaltungen durch, die Termine dazu finden sich zusammen mit vielen anderen Informationen zum Thema auf unserer Homepage:

www.aufdemacker.de

Zur Person: Toni Groß (49), promovierter Materialwissenschaftler, arbeitet als Berufsschullehrer. Seit Gründung des SoLaWi-Vereins im Vorstand aktiv. Bei flachen Vereinshierarchien zurzeit Vorsitzender. Kontakt: toni@aufdemacker.de

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