Veränderungen gestalten

Von Ulf Krone.

Mit Josephine Haas hat die evangelische Stadtkirchengemeinde in der Kreisstadt zuletzt eine neue Pfarrerin bekommen, die nun ihren Probedienst in der Gemeinde leistet. Die gebürtige Rüdesheimerin ist Mitte 30 und kommt mit großem Elan und vielen Ideen nach Groß-Gerau. Wie sie zur Theologie gefunden hat, was sie sich unter modernem Gemeindeleben vorstellt und wie die erste Zeit in der neuen Gemeinde war, hat WIR-Redakteur Ulf Krone nachgefragt.

Seit Februar sind Sie in der evangelischen Stadtkirchengemeinde als Pfarrerin im Probedienst tätig. Stellen Sie sich doch bitte einmal kurz unseren Lesern vor!

Josephine Haas: Gerne! Ich bin Josephine Haas, ich bin evangelische Pfarrerin und habe dieses Jahr im Februar meine erste Stelle hier in Groß-Gerau angetreten. Ich komme aus dem Rheingau und habe in Marburg, Jerusalem und Leipzig evangelische Theologie studiert. Vor meiner praktischen Ausbildung zur Pfarrerin, die ich in der evangelischen Kirchengemeinde in Bauschheim und in der evangelischen Studierendengemeinde in Mainz gemacht habe, habe ich noch drei Jahre an der Uni in Marburg gearbeitet. Privat bin ich eine begeisterte Leserin, schaue gerne Serien, fahre gerne Fahrrad und treffe mich mit Freund/innen.

War es schon immer Ihr Wunsch, Pfarrerin zu werden? Was hat Sie zu dieser Entscheidung bewogen?

Josephine Haas: Ich sage oft: Ich habe es nicht ausgeschlossen, Pfarrerin zu werden, als ich angefangen habe, Theologie zu studieren. Das ist ja der klassische Beruf, den man nach dem Studium ergreift. Aber die Entscheidung, die Ausbildung zur Pfarrerin zu machen, fiel während der Corona-Pandemie, als ich an der Uni gearbeitet habe. Ich habe jungen Theologiestudierenden Methoden für die Bibelinterpretation nahegebracht und hatte viel Spaß daran, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, was ihnen diese Texte heute in ihrem Leben bedeuten. 

Erzählen Sie mal: Wie waren die ersten Wochen in der neuen Gemeinde, am neuen Arbeitsplatz?

Josephine Haas: Die Zeit ist buchstäblich gerannt. Es gab und gibt für mich immer noch sehr viel zu entdecken, viele Menschen kennenzulernen, Abläufe in der Gemeinde zu verstehen. Ich bin sehr herzlich aufgenommen worden und bekomme viel Unterstützung. Alle sehen es mir nach, wenn ich mir Namen noch nicht gemerkt habe. Wir führen das Interview nach einer intensiven Passionszeit und nach Ostern. Ich habe eine Gemeinde kennengelernt, die große Lust hat auf die Gestaltung von Gemeindeleben im Alltag und an Feiertagen. Menschen, für die die Kirchengemeinde ein wichtiger Lebensort ist und die ganz viel Kraft und Zeit füreinander aufbringen – und dabei viel Spaß miteinander haben.

Was haben Sie sich für Ihre erste Pfarrstelle vorgenommen? Wo wollen Sie Schwerpunkte setzen?

Josephine Haas: Die Evangelischen Kirchen stehen gerade vor großen strukturellen Veränderungen. Einzelne Kirchengemeinden werden in Zukunft in „Nachbarschaftsräumen“ bei vielem kooperieren. Wir stehen also vor großen Veränderungen, denen Kirchenmitglieder mit gemischten Gefühlen begegnen. Ich denke, der Prozess kann aber auch spannend und kreativ sein. Wir können gemeinsam überlegen, wie Kirche sein kann. Wie wir Gemeinschaft leben wollen. Wir können Neues ausprobieren. Die Gestaltung dieser Nachbarschaftsräume wird – zusammen mit meinen Kolleg/innen – ein großer und wichtiger Teil meiner Arbeit sein. 

Vor Ort in der Stadtkirche möchte ich gerne die starke Gottesdiensttradition zusammen mit meinen Kolleg/innen Pfarrer Helmut Bernhard und Propsteikantorin Wiebke Friedrich weiterführen. Und dabei immer wieder neue Gottesdienstformen ausprobieren. Ich kann mir z.B. ein Segensfest für Frisch- und Langverliebte zum Valentinstag vorstellen. Oder Gottesdienste, in denen es statt einer Predigt Stationen gibt, an denen Menschen zusammen kreativ werden, spielen oder ins Gespräch kommen können. Ich habe viele Ideen.

Wir leben in Zeiten massenhafter Kirchenaustritte und einer wachsenden Distanz zwischen den Menschen und der Institution Kirche. Wie sind Sie persönlich zur Religion und schließlich zur Theologie gekommen?

Josephine Haas: Ich war Schülerin an einer katholischen Ursulinen-Schule, d.h. ich bin im Kontext des Schulalltags mit religiösen Angeboten „aufgewachsen“. Ich erinnere mich an ganz lebendige Jugendarbeit in der Schule, bei der wir Jugendlichen uns ausprobieren und Verantwortung übernehmen konnten. Und ich hatte dort sehr guten evangelischen Religionsunterricht, der mein Interesse an Theologie als wissenschaftlichem Studium geweckt hat. Meine Konfirmandinnen-Zeit hat mich auch geprägt. Das sind ein paar Stationen – aber ich glaube, am meisten begeistert mich an Religion oder am Glauben, dass ich nie sagen könnte, irgendwo angekommen zu sein. Glauben ist für mich ein lebenslanger Weg, und ich beobachte an mir, dass je nach Lebensabschnitt sich immer wieder etwas verändert. Zum Beispiel, wie ich mir Gott vorstelle. Oder wie intensiv ich das Bedürfnis habe, zu beten.   

Was können Glaube und Religion den Menschen Ihrer Meinung nach heutzutage noch geben?

Josephine Haas: Ich glaube, ganz allgemeingültig, lässt sich diese Frage überhaupt nicht beantworten. Aber persönlich würde ich sagen, Glauben und Religion kann für Menschen heute mindestens zwei Dinge sein: Als Christin glaube ich an einen Gott, der oder die das Volk Israel aus der Sklaverei geführt hat und auf der Seite von Marginalisierten steht und Jesus vom Tod auferweckt hat – also eine Gottheit, die befreit und Leben schenkt.

Glaube ist für mich, aus dem Versprechen Gottes heraus zu leben, dass jeder und jede von uns ohne Unterschied und bedingungslos geliebt und wertvoll ist. Das klingt erstmal nicht so spektakulär – ist in der gesellschaftlichen Realität aber gar nicht so selbstverständlich. Wir leben in einer absurden und anstrengenden Welt: Wir definieren uns viel zu häufig darüber, was wir leisten, über Gesundheit, über Einkommen usw. Dazu kommen offensichtlich und versteckt Sexismus, Rassismus, Queerfeindlichkeit und vieles mehr. Glauben ist für mich, mir allein im Austausch mit Gott oder in einer Gemeinschaft immer wieder bewusst zu werden, bedingungslos geliebt zu sein. Und zum Zweiten ist mein Glaube für mich aktives Hoffen in Gemeinschaft. Also zusammen mit Lachenden zu lachen, mit Weinenden zu weinen, das Leben mit allen Höhen und Tiefen zu feiern und aufzustehen gegen Ungerechtigkeit und Machtmissbrauch – im Kleinen oder auch auf einer großen Demo! Glaube ist für mich Bestärkung, Lebenskraft und mich in Gemeinschaft für ein gerechteres Miteinander einzusetzen.

Stadtkirche Groß-Gerau

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