Beim Radfahren auf Reptilien achten

Von Rainer Beutel.

Wera Schütte aus Büttelborn/Klein-Gerau ist seit über 30 Jahren unter anderem als Gefahrenabwehringenieurin und Brandinspektorin in einem Darmstädter Wissenschafts- und Technologiekonzern tätig. Sie gehörte zu den ersten 15 Berufsfeuerwehrfrauen Deutschlands. Intensive Brandereignisse und deren Folgen wurden von ihr fotografisch dokumentiert. Sie ist es also gewohnt, mit Extremsituationen klarzukommen. Dazu gehört das Fotografieren von Tierleichen auf Radwegen. Im Interview mit WIR-Redakteur Rainer Beutel setzt sie sich für den Schutz heimischer Reptilien ein.

Frau Schütte, Sie beschäftigen sich mit einem sehr ungewöhnlichen Thema – totgefahrene Tiere auf Radwegen. Wie sind Sie darauf gekommen?

Wera Schütte: Seitdem ich ein kleines Mädchen war, beschäftige ich mich mit der Natur und mit Tieren. Auf die Thematik im Detail kam ich vor wenigen Jahren, als ich versehentlich im Wald auf eine Blindschleiche trat, glücklicherweise folgenlos. Auch habe ich einmal unabsichtlich eine kleine Eidechse auf einem Radweg überrollt. In den vergangenen Jahren dehnte ich meine Radtouren durch den Kreis Groß-Gerau, speziell in Richtung Main und Rhein, auf bis zu 2.400 km jährlich aus – auch im siebten Lebensjahrzehnt, nur ohne Hilfsmotor! Dabei sah ich auf Rad- und Deichschutzwegen sowie landwirtschaftlichen Betriebswegen viele überfahrene Eidechsen, sogar eine überrollte Schlange.

Was wollen Sie erreichen?

Wera Schütte: Bei meinen Recherchen entdeckte ich im Internet fast keine Öffentlichkeit für diese Thematik. Dies möchte ich mit mir zur Verfügung stehenden Mitteln hier im Umkreis ändern. Möglicherweise entwickelt sich daraus eine größeres öffentliches Interesse. Insbesondere würde ich als engagierte Mitbürgerin und Radfahrerin andere Radfahrer gerne persönlich auf diesen Aspekt ansprechen. Ich möchte versuchen, auf deren Bewusstsein oder auch Mind Mapping für dieses Thema und den Schutz der heimischen Reptilien hinzuwirken.

Sie scheuen sich nicht, Tierleichen abzulichten. Kostet Sie das keine Überwindung?

Wera Schütte: Ich sehe und erlebe die Realität, den Tod verdränge ich nicht. Auch kann ich mittlerweile eine spannende 40-jährige Historie beruflicher Nutzung meiner fotografischen Tätigkeiten vorweisen. Unter anderem habe ich als Studentin im Weltnaturerbe Wattenmeer auf der Insel Norderney als Fotografin gearbeitet und so erfolgreich mein Studium finanziert. Ich bin Naturwissenschaftlerin und trenne in dem Moment des Fotografierens zwischen Fakten und weiteren mentalen Aspekten. Ich beobachte genau, schaue ungern weg und möchte interessante Inhalte abbilden.

Was geschieht nach dem Foto mit dem verstorbenen Tier?

Wera Schütte: Ich versuche ihm den Rest einer möglichen Würde, sowie ich es aus meiner Perspektive empfinde, zurückzugeben und verlege es weg vom Weg seitlich ins Gebüsch. Dort übergebe ich es der natürlichen biologischen Verwertung. Möglicherweise dient es anderen Tieren als Nahrung bei der Aufzucht von Jungtieren.

Sie beklagen ein fehlendes öffentlichen Bewusstsein für die Problematik. Was glauben Sie, warum das Thema bislang selten oder gar nicht in Medien beachtet wird?

Wera Schütte: Ich kann wirklich nur spekulieren und nicht abschließend antworten. Radfahren ist aus guten Gründen medial sehr positiv besetzt. Das versehentliche Überfahren kleiner Eidechsen fällt kaum auf. Möglicherweise ist es einfach ein nicht medienwirksames Randthema und bisher durch das Raster der Öffentlichkeit gefallen. Rein statistisch schätze ich allerdings, dass jeden Sommer viele tausend oder zehntausende Reptilien auf Radwegen in Deutschland betroffen sind. Technische Maßnahmen wie bauliche Abtrennungen oder organisatorische Methoden sind sicherlich unrealistisch. Allerdings kann jeder von uns persönlich aufpassen und vorsichtig sein. Jeder kann ein Mitgefühl für diese verletzlichen Reptilien entwickeln und sie dann auch schützen. Ich möchte deshalb um individuelle Aufmerksamkeit für die Tiere bitten. Jeder kann versuchen, beim Radfahren ein Überrollen und damit ihren Tod zu verhindern.

Was müsste Ihrer Meinung nach passieren, um Tiere vor Radfahrern besser zu schützen?

Wera Schütte: Radfahrer, jetzt auch immer mehr E-Bikefahrer, sind häufig sehr zügig unterwegs. Ich möchte deren Bewusstsein wecken und schärfen. In dem ich selber den Untergrund umfassend beobachtete, konnte ich persönlich in mehreren Fällen noch rechtzeitig ausweichen. Dass südlich von Trebur kürzlich eine 90 Zentimeter große Natter von einem Radfahrer übersehen und überrollt wurde, finde ich höchst bedauerlich. Mit aufmerksamem Blick hätte man dieses doch recht langsame Tier rechtzeitig erkennen und ausweichen können. Ich fand sie leider sterbend vor.

An welchen Stellen im Kreis Groß-Gerau sehen Sie Tiere besonders gefährdet?

Wera Schütte: Reptilien benötigen als wechselwarme Tiere Wärme und möglichst auch direkte Sonnenstrahlung. Dies gilt grundsätzlich für alle Wege im offenen Freiland, die häufig auch von Radfahrern genutzt werden. Auf Asphalt oder anderem befestigten Untergrund wärmen sich die Tiere gerne auf. Auffallend viele Eidechsen beobachte ich regelmäßig auf dem Radweg zwischen Nauheim und Groß-Gerau direkt an der Bahn. Dieses Habitat scheint sehr beliebt zu sein.

Haben Sie sich schon mal mit ihrem Anliegen an Behörden und Kommunen gewandt und wenn ja, wie haben die reagiert?

Wera Schütte: Nach Abschluss anderer privater Projekte hatte ich erst dieses Frühjahr ein Zeitfenster für Neues frei. Ich kontaktierte Ansprechpartner von zwei Naturschutzverbänden. Einer reagierte nicht, auch nicht nach wiederholter Nachfrage. Meine andere Kontaktperson empfahl mir kürzlich den Kontakt mit Ihnen. Den Kontakt mit Behörden habe ich bisher nicht geplant, der ADFC wäre noch eine weitere Option. Für konstruktive Ideen bin ich immer gerne ansprechbar.

Sie finden auch getötete Schlangen und kümmern sich auch sonst um Tiere?

Wera Schütte: Aber ja, vor Jahren zwang mich eine geschätzt 140 Zentimeter große Natter im Mönchsbruch zur rechtzeitigen Rad-Vollbremsung. Ansonsten habe ich schon seit mehr als 50 Jahren Erfahrung in der Papageienhaltung. Verschiedenste Notfälle und Hilfesuchende fanden mich, da ich im Kreis und darüber hinaus doch einige Kontakte zum Tierschutz habe. Ich habe bei Anfragen gerne die schwierige Vergesellschaftung von Papageien mit Beratung begleitet. Vor etwa drei Jahren rettete ich einen Schwan aus meiner Nachbarschaft mit Hilfe des zuständigen Tierheims. Er wurde an geeigneter Stelle ausgesetzt.

Was machen Sie mit all ihren Fotos?

Wera Schütte: Grundsätzlich freue ich mich an schönen Darstellungen der Natur oder der typgerechten Präsentation von Menschen. Gerne fotografiere ich auf Radtouren Landschaften und Tiere, versuche spannende optische Impressionen einzufangen. Grundsätzlich habe ich immer eine handliche Kamera mit großen Zoom-Bereich dabei. Fotos besonderer Vögel stelle ich z.B. auf Ornitho ein. Dort können Sichtungen dokumentiert werden und dienen so der Erfassung artspezifischer Verbreitungsgebiete sowie des jährlichen Zugverhaltens. Meine Büttelborner Fotos mit bis zu 170 Störchen schließen ein Kapitel meiner Jugend bestens ab: Vor 50 Jahren war das mögliche Aussterben der Störche in meiner norddeutschen Heimat ein relevantes Thema. Seitdem hat sich viel Gutes im Umweltschutz getan. Das erfreut mich sehr. Im April wurde mein fünfseitiger Bericht über die dramatische Rettung eines Papageis auf dem Dach eines Frankfurter Towers im 50. Geschoss bundesweit in einer Fachzeitschrift veröffentlicht.

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