Das Neujahrs-Hochwasser von 1882/83

Von Klaus Drodt.

Rheinhochwasser hat schon immer für Überschwemmungen in unserer Heimat gesorgt. Viele dieser Hochwässer sind von den Jahren 1342 bis 1995 überliefert. Noch heute lassen sich die unterschiedlichen Höhen an Hochwassermarken im Kreis ablesen.

Doch was löst ein solches Hochwasser aus? Dies kann unterschiedlichste Ursachen haben, wie beispielsweise extreme Regenfälle und rasches Tauwetter im Gebirge, welche zu einem rapiden Anstieg des Wassers führen. Aber nicht nur die Natur ist für solche Phänomene verantwortlich – auch wir selbst beeinflussen im negativen Sinne. Wir begradigen Flüsse, nutzen natürliche Überflutungsgebiete in den Rheinschlingen als landwirtschaftliche Nutzflächen oder Siedlungsgebiete. Dadurch können die Wassermassen ungebremst und wesentlich schneller fließen als in dem ursprünglichen kurvenreichen Verlauf, und die Flusssohle gräbt sich immer tiefer ein. Natürliche Überflutungsflächen fehlen bei Hochwasser.

Von den mehr als 30 überlieferten Wasserständen waren acht besonders schlimm. Dabei sticht das Hochwasser 1882/83 besonders heraus. Damals stand das Wasser in Ginsheim sechs Meter über dem Normalwert. Die entscheidende Ursache für dieses verheerende Hochwasser waren der regenreiche Sommer und Herbst 1882. Bäche und der Rhein führten Hochwasser, die Rheinauen waren schnell überschwemmt, und an drei Dämmen am Rhein stand das Wasser so hoch, dass diese den Wassermassen nicht mehr standhalten konnten. Am 28. Dezember brachen die Landdämme bei Ginsheim, am 29. Dezember folgte der Damm bei Ludwigswörth am Lampertheimer Altrhein, und zur Jahreswende 1882/83 brach schließlich der Erfelder Damm.

Ein großer Schwachpunkt waren damals die Landdämme am Schwarzbach bei Ginsheim und der Abzweig an der Rabenspitze, der sich mit dem Bach ostwärts bis nach Wallerstädten zieht. Durch das Hochwasser stieg der Rhein kontinuierlich am 28. Dezember auf 5,80 m und einen Tag später auf 6,70 m. Genau an diesem Tag brach schließlich der Landdamm bei Ginsheim. Das Wasser floss nun ungehindert über den Schwarzbach rückwärts in den Mühlbach bis nach Groß-Gerau. Auch über den in Trebur einmündenden Landgraben floss das Wasser aufwärts, der Kollenbruch, Wallerstädten, Berkach und Dornberg wurden überflutet. Über das alte Neckarbett und den Scheidgraben erreichte das Wasser auch Dornheim, sodass über 75% der Ortsfläche unter Wasser standen.

Im südlichen Ried in der Gemarkung Lampertheim brach dann am 29. Dezember der Damm des Altrheins am Rosengarten. Die Wassermassen strömten auch hier ungehindert in das Land und in die alten Neckarschlingen, überfluteten die umliegenden Orte im südlichen Ried, bis nach Klein-Rohrheim – hier waren schließlich über 60% der Gemeindefläche überflutet.

Die Wasserkatastrophe zur Jahreswende 1882/83 – ausgelöst durch den Dammbruch bei Erfelden – ist der Bevölkerung im Gedächtnis geblieben; es dürfte die vielleicht gravierendste bekannte Überflutung gewesen sein. Der Wasserpegel in Erfelden lag bei 5,60 m. Das Wasser stand bis zu den Dammkronen. Mühsam versuchten die Dammwachen die Dämme zu stabilisieren, doch der Druck des Wassers war zu stark. Schließlich gab der Damm im Bereich von Hahnengrund südwestlich von Erfelden nach und brach auf einer Breite von 115 m. Dadurch wurde ein großer Kolk – ein Strudelloch, welches durch ausströmende Wassermengen bei einem Dammbruch entsteht – ausgespült.

Der Damm war schlicht nicht für eine solche Belastung ausgelegt. Er war so stark durchfeuchtet, dass er letztendlich instabil wurde. Das Wasser schoss ab 9.30 Uhr durch eine Höhle unter der Dammkrone hindurch und der Damm brach anschließend auf der beschriebenen Länge. Eine unvorstellbare Wassermenge strömte ungehindert in das Hinterland in Richtung Bensheimer Hof, Kammerhof, Geinsheim, Trebur und Leeheim und vereinigte sich über die Neckarschlingen mit dem bereits vorhandenen Hochwasser aus dem Schwarzbach. Es entstand eine gewaltige Wasserfläche – eine gespenstische Vorstellung: ein See vom Rhein bis nach Groß-Gerau. Das Strudelloch bei Erfelden wurde bis heute nicht verfüllt. Es existiert immer noch, allerdings als friedlicher Weiher. Er trägt passenderweise den Namen „Neujahrsloch“; eine wunderbare Bademöglichkeit in freier Natur.

Fast alle Gemeinden westlich des Rheins waren betroffen: Ginsheim, Kornsand, Trebur, Geinsheim, Wallerstädten, Berkach, Dornberg, Dornheim, Leeheim, Erfelden und Stockstadt, wobei Astheim, Berkach, Geinsheim, Kornsand, Trebur und Wallerstädten vollständig vom Wasser überflutet wurden. In Ginsheim und Leeheim waren mehr als 90% der Gemeindefläche durch das Hochwasser überschwemmt, und in Dornberg lag der Wert bei 70%. In anderen Gemeinden im Kreis, wie Bauschheim, Bischofsheim, Erfelden und Stockstadt waren über 50% der Flächen überflutet. Die Stadt Groß-Gerau kam vergleichsweise glimpflich davon, das Wasser stand nur bis zur Kreuzung Oppenheimer Straße / Südring, es waren glücklicherweise nur 5% der Stadtfläche.

Um die historischen Hochwasserstände sichtbar zu erhalten, wurden in fast allen betroffenen Gemeinden Hochwassermarken angebracht. Im Stadtgebiet von Groß-Gerau gibt es jeweils eine in Wallerstädten in der Untergasse, in Dornheim an der Brücke über den Scheidgraben und in Dornberg am Hoftor der alten Schule. In Geinsheim befinden sich vier Marken an der evangelischen Kirche, in Trebur neun Marken im Hof der Landmetzgerei Hedderich, sowie sieben am Tor des Forstamtes Kühkopf-Knoblochsaue und je eine Marke an der Katholische Kirche Astheim und in Ginsheim in der Dammstraße.

In Dornberg waren die Fasanerie, das ganze Gebiet Auf Esch, die Fläche bis zum Bahndamm und der Stadtgrenze zu Groß-Gerau, sowie der ganze Ortskern überflutet. Die Bevölkerung konnte in das Schloss flüchten als höchstgelegene Fläche im Ort. Dieses liegt auf einer hochwasserfreien Niederterrasse und das höhere Niveau vom Schlosshof zur Hauptstraße ist heute immer noch ersichtlich. Während die total überfluteten Ortschaften große Schäden hatten, dürfte dieser in Dornberg nicht so schlimm gewesen sein.

Das Hochwasser stand im ganzen Kreis auf einer Fläche von 16.500 ha – etwa 57% der Gesamtfläche: ein gewaltiger See, welcher sich weit ostwärts erstreckte.

Aus diesen und ähnlichen Überflutungen haben wir gelernt und es wurde viel Geld und Wissen in die Stabilität der Dämme investiert. Diese sind nun breiter und höher als die damaligen und halten das Hochwasser erfolgreich zurück (hoffentlich).

Das Hochwasser zum diesjährigen Jahresbeginn war glücklicherweise nicht so extrem, führte aber doch zu Ängsten und Befürchtungen. Die Natur ist eben nicht berechenbar.

Klaus Drodt
beschäftigt sich mit Dornbergs Geschichte;
k.drodt@gmx.de

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