Familien unter Druck

Von Ulf Krone.

Für Kinder im Kita-Alter gibt es einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz. Aber Kinder werden älter, und mit der Einschulung stellt sich den Eltern immer häufiger die Frage: Wer reduziert jetzt seine Arbeitszeit oder gibt den Beruf gleich ganz auf? Denn spätestens ab Mittag müssen die Kinder betreut werden, und echte Ganztagsschulen sind hierzulande rar gesät. Mit der steigenden Zahl an Schulanfängern wächst auch das Problem der Betreuung, etwa an der Schillerschule in der Kreisstadt. Dort haben sich Eltern organisiert, um auf das Problem aufmerksam zu machen und an Lösungen zu arbeiten. Doch wie so oft in Deutschland sind auch in diesem Fall die bürokratisch bedingten Widerstände groß. WIR-Redakteur Ulf Krone hat bei Angelika Stopp und Clarissa Lipinski von der Elterninitiative nachgefragt.

Bitte beschreiben Sie einmal das aktuelle Problem der Betreuung von Schulkindern in der Kreisstadt aus Ihrer Sicht, der Eltern-Perspektive!

Angelika Stopp, Clarissa Lipinski: Wir sind verzweifelt, es fehlt in Groß-Gerau massiv an Betreuungsplätzen für Grundschulkinder. Die Erstklässler haben ca. 20 Schulstunden in der Woche, was bedeutet, dass der Unterricht etwa um 8 Uhr beginnt und um 11.40 Uhr beendet ist. Ohne eine anschließende Betreuungsmöglichkeit werden wir als berufstätige Eltern vor ein riesiges Problem gestellt, denn eine berufliche Tätigkeit von mehr als 50% ist in dieser Zeit inklusive Arbeitsweg kaum realisierbar. Um eine ausreichende Betreuung unserer Kinder ohne einen Betreuungsplatz gewährleisten zu können, müssten wir entweder unsere Arbeitszeiten noch weiter reduzieren oder wären dazu gezwungen, dass ein Elternteil seinen Beruf komplett aufgeben muss. Vor dem Hintergrund der aktuellen Situation mit massiv steigenden Lebenshaltungskosten ist es jedoch zumeist notwendig, dass beide Elternteile berufstätig bleiben. Bekannterweise gibt es erst 2026 einen Rechtsanspruch auf Betreuung (nur für die Erstklässler), aber es gibt schon jetzt einen großen Bedarf. Für die Betreuung der Kinder der Schillerschule Jahnstraße ist aktuell der Förderverein tätig, der ehrenamtlich von engagierten Eltern geführt wird. Die stetig wachsenden Anforderungen sind allerdings kaum noch leistbar, denn die Schulkindbetreuung ist mittlerweile sehr komplex und die große Nachfrage ist allein über den Förderverein nicht stemmbar. 

Für das Schuljahr 2023/24 gab es insgesamt 33 Anträge auf einen Betreuungsplatz, davon konnten 14 Plätze neu vergeben werden, jedoch mussten 19 Anträge abgelehnt werden. Besonders im Schulteil Jahnstraße spitzt sich die Situation immer mehr zu. Die Tatsache, dass es einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz im Kindergarten gibt, man aber mit Eintritt des Kindes in die Grundschule plötzlich wieder ohne Betreuung dasteht, zumal man an eine konkrete Schule gebunden ist, widerspricht einer sinnvollen Familienpolitik. Man fördert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Kindergartenalter, um diese im Grundschulalter wieder zu zerstören. Wo ist da die Logik? Seit 2021 kämpfen wir als Elterninitiative für eine Verbesserung der Lage. Es hat sich bisher nichts getan, im Gegenteil, die Situation wird zunehmend schlechter, weil sich die Schülerzahlen und damit auch der Betreuungsbedarf stetig erhöhen. Ein familienfreundlicher Standort sieht anders aus!

Was müsste Ihrer Meinung nach geschehen, um die Situation zu verbessern, und gibt es bereits Lösungsansätze?

Angelika Stopp, Clarissa Lipinski: Die Schillerschule muss sich in Bezug auf die Schulkindbetreuung noch stärker verantwortlich fühlen, um den veränderten Anforderungen gerecht zu werden. Trotz möglicher personeller und arbeitszeitlicher Widerstände ist es die Aufgabe der Schule, sich der Herausforderungen anzunehmen und den Wandel aktiv mitzugestalten. Wir fordern, Betreuungsplätze für alle mit Bedarf zu schaffen, doch das ist aktuell schon wegen fehlender Räumlichkeiten auf dem Schulgelände nicht umsetzbar. Für eine rasche Verbesserung werden weitere Räume benötigt, um die aktuell 45 Plätze erweitern zu können.

Für eine langfristige Verbesserung der prekären Betreuungslage wünschen wir uns eine Ganztagsschule, bei der die Betreuung nicht über einen ehrenamtlichen Förderverein abgedeckt, sondern von offizieller Seite mit bezahltem Personal organisiert wird. Dafür müsste die Schule in den „Pakt für den Ganztag“ eintreten und würde dann finanziell und personell vom Kreis und dem Land Hessen unterstützt werden. Die Zusammenarbeit von Schule, Kreis, Stadt und Land muss dringend verbessert werden. Derzeit behindern sich die Beteiligten gegenseitig oder schieben die Verantwortung für das Problem von sich weg.

Weshalb hat sich in Ihren Augen bis jetzt noch nichts an der Lage geändert?

Angelika Stopp, Clarissa Lipinski: Die fehlende Schulkindbetreuung ist ein dringendes Problem, das sowohl der Schule als auch der Politik seit langem bekannt ist. Die Schillerschule fühlt sich nicht zuständig, da die Betreuung ja vom Förderverein organisiert wird. Um die Zuständigkeit auf den Landkreis zu übertragen, müsste man dem „Pakt für den Ganztag“ beitreten. Bisher hat die Schulleitung allerdings keinen Antrag gestellt, was zu einer Verzögerung bei der Lösung des Problems führt. Deshalb fordern wir, die Verantwortung zu zentralisieren. Die gegenwärtige Situation, in der alle Beteiligten lediglich den „schwarzen Peter“ hin- und herschieben, führt zu keinerlei konstruktiven Lösungsansätzen.

Hinsichtlich der Schulkindbetreuung gibt es einfach viel zu viele Beteiligte mit unterschiedlichen Verantwortlichkeiten und Kompetenzen. Diese arbeiten weder zusammen, noch verfolgen sie ein gemeinsames Ziel im Sinne der Kinder.

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