Hoffnung für die BSGG

Von Ulf Krone.

Der bislang nicht genehmigte Haushalt des Kreises hat zahlreiche Konsequenzen. Eine der gravierendsten betrifft die Beruflichen Schulen Groß-Gerau (BSGG), für deren geplanten Neubau im Rahmen der Sanierung und Modernisierung der Gebäude ein Baustopp verhängt werden musste. Die Verantwortlichen reagierten mit einer Podiumsdiskussion zu dem Thema, bei der Landrat Thomas Will von den Verhandlungen mit dem Regierungspräsidium berichtete. Was der Baustopp für die BSGG, aber auch die gesamte Region bedeutet und wie es jetzt weitergeht, hat WIR-Redakteur Ulf Krone bei Schulleiterin Sabine Kämpf nachgefragt.

Der jüngst verhängte Baustopp trifft die BSGG hart. Was bedeutet das konkret für die geplante Erweiterung?

Sabine Kämpf: Bis Montagabend vor der Podiumsdiskussion gingen wir davon aus, dass die geplante Erweiterung definitiv bis auf weiteres auf Eis gelegt ist. Wir wussten nicht, wann und wie es weitergeht. Zum Glück nahm die Podiumsdiskussion eine überraschende Wende, doch dazu später mehr.

Welche Auswirkungen hat dieser Schritt für die BSGG?

Sabine Kämpf: Die BSGG trifft es wirklich hart. Seit 2017 haben wir keine naturwissenschaftlichen Räume, wir platzen aus allen Nähten und behelfen uns seit Jahren mit Containern, die jetzt schon nicht mehr ausreichen. Lerngruppen haben keinen festen Klassenraum und müssen täglich oder sogar mehrmals täglich den Raum wechseln. Für den Unterricht in den beruflichen Fächern fehlen uns moderne Werkstätten und integrierte Theorie- und Praxisräume. Die Anforderungen der Arbeitswelt haben sich durch die digitale Transformation grundlegend gewandelt. Wir bilden Schüler/innen für Berufe aus, die wir heute noch nicht kennen. Dazu bedarf es offener Lernsettings und alternativer Prüfungsformate. Der Raum als dritter Pädagoge muss eine Lernumgebung schaffen, die genauso flexibel ist wie die unterschiedlichen Lernsettings. Diese Tatsache haben wir von Anfang an bei der Planung des Neubaus berücksichtigt, indem wir Flächen für freies Lernen in Gruppen-, Partner- oder Einzelarbeit für die Lernenden zur Verfügung stellen wollten. Aber nicht nur räumlich müssen wir uns verändern, sondern auch der Unterricht und die Lernkultur müssen es tun. Hierfür stellen wir bereits jetzt schon die Weichen und ermöglichen den Lernenden zum Beispiel, sich in der Tablet-Klasse des Beruflichen Gymnasiums in freien Lernzeiten selbst zu entfalten und zu organisieren. Gleichzeitig begleiten wir sie individuell auf ihrem Lernweg.

Und wie sieht es vor Ort in der Region aus?

Sabine Kämpf: Die BSGG ist natürlich auch ein Partner in der Fachkräftesicherung für Groß-Gerau, die gesamte Rhein-Main-Region und weit darüber hinaus. Wir bilden junge Menschen in acht Fachrichtungen und insgesamt 19 Ausbildungsberufen aus. Wenn wir diesen Standort gefährden, dann gefährden wir die Gewinnung des Nachwuchses in diesen Berufen. Die Bedeutung einer gut aufgestellten beruflichen Schule ist für die Qualität der Berufsausbildung kaum zu überschätzen, betonten auch Florian Schöll, Geschäftsführer des Geschäftsbereichs Bildung, Handwerkskammer-Frankfurt-Rhein-Main, sowie Dr. Marcel Walter, Geschäftsbereichsleiter im Bereich Aus- und Weiterbildung, IHK Darmstadt, Rhein-Main Neckar, und Dirk Meyer, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Hessen Chemie. Der Wert der Ausbildung sinkt mit schlecht ausgestatten Schulen, und das können wir uns nicht leisten.

Als Reaktion auf diese Entwicklung haben Sie zuletzt eine Podiumsdiskussion mit Vertretern der Kommunal- und Landespolitik, der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, der Wirtschaft, des Kreiselternbeirats und der Schule selbst veranstaltet? Was ist dabei herausgekommen?

Sabine Kämpf: Das Ziel der Podiumsdiskussion bestand zunächst darin, die vielen Facetten, die die berufliche Bildung bietet, aufzuzeigen. In der öffentlichen Wahrnehmung wird „berufliche Schule“ und „Berufsschule“ häufig synonym verwendet. Dies liegt meiner Meinung nach daran, dass zu wenig bekannt ist, dass man an einer beruflichen Schule auch Vollzeitabschlüsse erlangen kann. Für die BSGG heißt das konkret, dass wir ca. 1.000 Vollzeitschüler/innen haben, die in vier Schulformen beschult werden. Begonnen mit der Beschulung der Flüchtlingsklassen über die Berufsfachschule zum Übergang in Ausbildung und die Fachoberschule bis hin zum Beruflichen Gymnasium. Darüber hinaus war unser Ziel, die Bedeutung der BSGG für die Region zu verdeutlichen: Wir bilden im Rahmen der dualen Berufsausbildung auch Auszubildende von regionalen Unternehmen aus. Sowohl für Azubis als auch für die Ausbildungsbetriebe ist es essenziell wichtig, dass der Berufsschulstandort erhalten bleibt. Denn lange Wege zur Berufsschule reduzieren die Wahrscheinlichkeit, dass sich die jungen Menschen für diesen Ausbildungsberuf entscheiden: die Fachkräftesicherung in den Berufen wäre somit gefährdet. 

Auch im Bereich der Berufsorientierung spielt die BSGG eine wichtige Rolle: durch umfassende Angebote wie das Azubi-Speeddating, den Pflegetag, die geplante Ausbildungsmesse (am 15.11.), die Betriebserkundung im Rahmen von „I AM MINT“, die geplante Talent Company (ab September) oder die Angebote im MINT-Zentrum leisten wir einen Beitrag zur Überwindung des Fachkräftemangels für die Region. Die Angebote richten sich nicht nur an unsere Schüler/innen, sondern auch an die der umliegenden Schulen.

Wird diese Rolle auch so wahrgenommen?

Sabine Kämpf: Unsere Partner der dualen Ausbildung haben die Rolle der BSGG aus Ihrer Perspektive dargestellt: Dr. Stefan Häusele, Vorstand der Sozialkasse des Gerüstbaugewerbes, hat betont, dass seit 1991 Azubis aus neun Bundesländern an der BSGG im Ausbildungsberuf Gerüstbau beschult werden. Die Sozialkasse investiert in ein Wohnheim in direkter Nachbarschaft zur Schule, und diese Entscheidung ist gefallen, weil mit dem Neubau nicht nur größere und modernere Unterrichtsräume zur Verfügung stehen, sondern weil mit der geplanten Mensa auch die Essenversorgung gesichert ist. Prof. Dr. Bernhard Gross, Studiendekan Hochschule RheinMain, betonte die Zusammenarbeit mit der BSGG zur Überwindung des Fachkräftemangels: „Fachkräftemangel trifft vor allem auf MINT- und Ingenieursberufe zu. In langjähriger Zusammenarbeit mit den Beruflichen Schulen Groß-Gerau sind wir interessiert daran, dass die Ausbildungsqualität auch erhalten bleibt.“

Die Landtagsabgeordneten Sabine Bächle-Scholz (CDU), Kerstin Geis (SPD) und Sascha Meier (Grüne) waren sich einig, dass „gute Gebäude“ für eine gute berufliche Ausbildung unerlässlich seien und Investitionen in die Zukunft der Jugend höchste Priorität haben müsse. Ebenso herrschte Einigkeit darüber, dass Kommunen und Landkreise die berufliche Bildung nicht mehr allein stemmen können.

Wie wird es jetzt weitergehen? Was sind die Aussichten?

Sabine Kämpf: Landrat Thomas Will hatte überraschend gute Nachrichten: Er berichtete von laufenden Gesprächen mit der Kommunalaufsicht und geht davon aus, dass der Kreis einen genehmigungsfähigen Etat bekommt, der im April vom Kreistag verabschiedet werden kann. Dann stünden dem Kreis 60 Millionen Euro zur Verfügung, und die geplanten Baumaßnahmen könnten mit einem Dreivierteljahr Verzögerung starten. Damit wäre dann auch eine Planungssicherheit für die kommenden Jahre verbunden.

Sabine Kämpf
ist Schulleiterin der Berufliche Schulen Groß-Gerau;
sabine.kaempf@bsgg.net

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