Kinder brauchen Sicherheit

Von Rainer Beutel.

Der Kinderschutzbund ist „aus dem Netzwerk der Jugendhilfe des Kreises Groß-Gerau und der Stadt Rüsselsheim nicht mehr wegzudenken“. Das betont Robert Janßen, Leiter der Kinderschutzbund-Beratungsstelle in der Kreisstadt. WIR-Redakteur Rainer Beutel hat sich bei ihm erkundigt, um was sich die Hilfsorganisation kümmert und wie sie hilft.

Herr Janßen, auf der Homepage des Kinderschutzbundes GG ist von vielfältigen Aufgaben zu lesen, die Ihre Organisation wahrnimmt. Ganz allgemein gefragt: Warum ist der Kinderschutzbund so wichtig?

Robert Janßen: Weil der Kinderschutzbund Groß-Gerau eine Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche, Eltern und Fachkräfte bietet und einen Kindergarten, die Flohkiste, betreibt. In Zeiten knapper Kita-Plätze können wir seit 30 Jahren ein stabiles Kita-Angebot machen. In der Beratungsstelle unterstützen wir Kinder, Jugendliche und Familien bei jeglichen Problemsituationen. Krisen entstehen manchmal, wenn Kinder vor neuen Aufgaben stehen, wie z.B. der Einschulung, oder wenn in der Entwicklung selbst Spannung entsteht, etwa in der Trotzphase oder der Pubertät. Außerdem kommen Familien in schwierige Situationen durch Krankheiten und Todesfälle, Umzüge oder Trennungen, neue Erziehungsaufgaben wie den Umgang mit Medien etc.. Wir unterstützen mit Elternberatung, Familienberatung, Spielstunden für Kinder und Gesprächsangeboten für Jugendliche. Grundsätze dabei sind Freiwilligkeit, Verschwiegenheit und Kostenfreiheit.

Gibt es noch weitere Säulen in der Arbeit des Kinderschutzbundes?

Robert Janßen: Ja, ein weiterer wichtiger Baustein ist die Beratung von Fachkräften und ehrenamtlich Tätigen. Zum einen werden wir angefragt, um bei Entwicklungsproblemen oder Krisen zu der Frage zu beraten, wie einem Kind geholfen werden kann. Zum anderen werden wir kontaktiert, um bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdungen einzuschätzen, ob eine Gefährdung vorliegt, und welche Schritte gegangen werden müssen, um diese Gefährdung wieder abzuwenden.

Trennung bzw. Scheidung werden als „Katastrophe im Leben der Kinder“ beschrieben. Was können Sie für betroffene Kinder tun?

Robert Janßen: Kinder sind bei Lebensumbrüchen darauf angewiesen, dass ihre Eltern weiter für sie da sind und ihnen Halt und Sicherheit geben. Wir unterstützen mit unserer Trennungs- und Umgangsberatung die Eltern, eine neue Struktur zu erarbeiten. Es gibt Kindern Sicherheit, wenn sie wissen, wann sie zu wem Kontakt haben können. Kinder wollen beide, Mama und Papa, liebhaben dürfen. Wir bieten auch jedes Jahr eine Kinder Trennungsgruppe an, die den Kindern die Möglichkeit gibt zu merken, „Ich bin nicht allein“ und zu vergleichen, wie andere Kinder diese Aufgabe bewältigen.

Wie ist das Netzwerk des Kinderschutzbunds im Kreis Groß-Gerau aufgebaut? Gibt es beispielsweise mehrere Stützpunkte oder agieren Sie zentral ausschließlich von Groß-Gerau aus?

Robert Janßen:  Der Kinderschutzbund Groß-Gerau betreibt eine Beratungsstelle in Groß-Gerau in der Schützenstraße 1 und hat auch Beratungsräume in Rüsselsheim in der Robert-Bunsenstraße 49. An beiden Standorten finden Beratungen mit Terminvergabe statt. Darüber hinaus beraten wir telefonisch, über Videogespräche oder auch in pädagogischen Einrichtungen (wie z.B. Schulkindbetreuungen) vor Ort.

Wie darf man sich die Zusammenarbeit mit den Kitas vorstellen?

Robert Janßen: Kita-Teams fragen uns für Fallbesprechungen an, wenn z.B. der Entwicklungsverlauf eines Kindes genauer eingeschätzt werden soll, um noch gezielter unterstützen zu können. Manchmal fällt die Eingewöhnung in die Kita schwer oder die Einschulung steht bevor, aber es sollten noch bestimmte Entwicklungsschritte gegangen werden, um einen guten Schulstart zu ermöglichen. Wir bieten auch Elternberatung in Kitas vor Ort an, um es Eltern leichter zu machen, Beratung wahrnehmen zu können. Dann sind die Wege kurz und das Kind ist schon einmal betreut, während in Ruhe gesprochen werden kann.

Wenn Ihren geschulten Kräften in der Entwicklung eines Kindes etwas auffällt, können sie eingreifen. Inwiefern dürfen Sie das überhaupt?

Robert Janßen: Wir beobachten Kinder nur, wenn die Eltern dies wünschen oder wenn es eine pädagogische Einrichtung vorschlägt und die Eltern einwilligen. Unsere Tätigkeit ist freiwillig und vertraulich. Präventiv sind wir tätig, indem wir Kindergruppen, Elternkurse und Elternabende anbieten.

Worum geht es bei den Elternkurse?

Robert Janßen: Eltern erziehen mit viel Liebe und Einsatz und geraten doch manchmal an ihre Grenzen. Kinder zu erziehen, wird nicht in der Schule unterrichtet. In unserem Elternkurs „Starke Eltern, starke Kinder“ wollen wir die Erziehungsfähigkeit von Eltern stärken und helfen, gewaltfrei zu erziehen. Eltern können im Kurs erkennen, wie die selbst erfahrene eigene Biografie das heutige Erziehungsverhalten prägt und sich dann mit anderen Eltern austauschen. Wie kann man die Kommunikationsfähigkeit in der Familie fördern, dem Kind Mitsprache ermöglichen und neue Wege und Lösungen für Probleme ausprobieren? Das sind Themen, mit denen Eltern sich auseinandersetzen. Unser nächster Elternkurs startet bald, eine Anmeldung ist noch möglich.

Relativ neu ist die Trauerarbeit mit Kindern und Jugendlichen. Um was geht es und was sind dabei die Schwierigkeiten bzw. Besonderheiten?

Robert Janßen: Bei der Trauerarbeit geht es darum, Kinder und Jugendliche sowie deren Eltern bzw. Familien nach einem Todesfall einer nahestehenden Person zu begleiten und zu beraten. Kinder trauern anders als Erwachsene und haben je nach Alter ein unterschiedliches Verständnis von Tod und unterschiedliche Möglichkeiten, die Trauer auszudrücken. Zudem ist es wichtig, dass die Familie in die Trauerarbeit miteinbezogen wird. In der Trauerbegleitung bekommen die Kinder und Jugendlichen in Einzelgesprächen, Familienbegleitung oder der Trauergruppe für Kinder die Unterstützung und den Raum, sich altersgemäß mit ihren Gefühlen und Fragen auseinanderzusetzen.

Um wie viele Kinder/Jugendliche kümmern Sie sich im Kreisgebiet? 

Robert Janßen: Im Jahr 2022 kamen 384 Familien zum Kinderschutzbund; dabei ging es um 542 Kinder und Jugendliche, die in der Mehrzahl selbst Termine wahrgenommen haben. Zusätzlich erreichen wir über die Beratung in Kindertagesstätten viele weitere Kinder mit ihren Familien.

Mit wie vielen Kräften bewältigt der Kinderschutzbund seine Arbeit?

Robert Janßen: Seit unseren Anfangszeiten Mitte der Achtzigerjahre ist unsere Beratungsstelle kontinuierlich gewachsen. 2003 und 2020 haben wir uns durch Umzüge auch räumlich vergrößert. Aus einer Vollzeitstelle zu Beginn ist ein sechsköpfiges Team geworden (Voll- und Teilzeit).

Welche Tendenzen gibt es über Jahre betrachtet?

Robert Janßen: Allein in den zurückliegenden sieben Jahren ist die Klientel um ungefähr ein Drittel gewachsen. Selbst im Corona-Lockdown und der schwierigen Folgezeit sind unsere Zahlen kaum zurückgegangen. Etwa ein Drittel der Familien sind sogenannte Selbstmelder, ein Drittel kommt auf Empfehlung von Kita, Schule oder anderen sozialen Diensten, und die übrigen über die Jugendämter und Familiengerichte (meist wegen schwieriger Trennungen). Bei den Kindern sind alle Altersstufen vom Säuglingsalter bis in die Adoleszenz vertreten, mit einer Häufung im Grundschulalter. Die Anmeldungen sind zahlreich, und es bleibt eine große Herausforderung, schnelle Hilfe anzubieten und gleichzeitig auch längere Prozesse sorgfältig zu unterstützen. Die Ressourcen sind knapp bemessen.

Letztlich: Wie finanziert sich die Arbeit des Kinderschutzbunds?

Robert Janßen: Der Kinderschutzbund Groß-Gerau hat als Basis-Finanzierung einen Leistungsvertrag mit dem Kreis Groß-Gerau und der Stadt Rüsselsheim. Darüber hinaus finanzieren wir unsere Arbeit über Bußgelder, Spenden und Mitgliedsbeiträge. Wir freuen uns sehr über neue Mitglieder und Spendenzuwendungen, da unsere Mittel immer knapp sind und wir Kinder und Familien nur im Rahmen unserer zeitlichen Kapazitäten unterstützen können.

Zur Person: Robert Janßen (54) leitet seit fünf Jahren Leiter die Groß-Gerauer Beratungsstelle und ist seit 30 Jahren in der Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Familien tätig. Kontakt: (06152) 9793050, beratungsstelle@ksbgg.de. Mehr Infos: www.ksbgg.de.

Das könnte dich auch interessieren …