Gewerbeverein am Puls der Zeit

Von W. Christian Schmitt.

Mit der Reihe „Tischgespräche“ gibt das WIR-Magazin seinen Lesern Gelegenheit, unmittelbar am jeweiligen Geschehen mit dabei zu sein, Menschen hinter ihrem Amt kennenzulernen. Diesmal hat uns Jörg Leinekugel, Vorsitzender des Groß-Gerauer Gewerbevereins und Inhaber von „Uhren Schmuck Leinekugel“, zu einem Frühstück in sein privates Domizil eingeladen.

Haben Sie zu Hause eine alte Uhr, vielleicht gar ein Erbstück aus Urgroßmutters Zeiten (wie sie bei mir im Wohnzimmer hängt)? Ein Relikt, das fast ein Jahrhundert überlebt hat, aber nicht mehr genau anzeigt, was oder wem die Stunde geschlagen hat, das möglicherweise beim Aufziehen etwas überdreht worden ist und mit seinem blechernen Glockenklang auch in der Nacht sich unweigerlich in Erinnerung bringt? Dann müssen Sie sich zu einem Uhrmacher Ihrer Wahl begeben, der sicher Abhilfe schaffen kann und das gute Stück repariert. Wir hatten das Glück, einen solchen zu treffen, der zudem noch dem kreisstädtischen Gewerbeverein vorsteht – Jörg Leinekugel. Sein Vater, ein Zugereister aus dem Rheinland, kam 1955 als Geselle ins alteingesessene Uhrengeschäft Diehl in Groß-Geraus Darmstädter Straße – und gründete einige Jahre später sein eigenes Unternehmen, das mittlerweile vom Sohn, ebenfalls ein gelernter Uhrmacher, und dessen Ehefrau geführt bereits seit fast 50 Jahren besteht.

Wer sich mit Uhren beschäftigt, muss eine ruhige, sichere Hand haben und wissen, wie die Vielzahl der Räderwerke ineinander greift. Kleinere Uhren bringen es in ihrem Gehäuse auf etwa 50 Teile, bei größeren sind es bis zu 150 Rädchen, die alle eine besondere Funktion haben. Der (gedankliche) Schritt von der Funktionsweise einer Uhr (die tragbare Uhr hat übrigens bereits 1542 der Nürnberger Peter Henlein erfunden) zu einer Gemeinschaft oder in diesem speziellen Fall zu einem Gewerbeverein ist keineswegs so kühn, wie er auf den ersten Blick anmuten mag: Denn hier wie dort ist ein jeder (ob Rädchen oder Mensch) in irgendeiner Form wichtig für ein erfolgreiches Funktionieren.

Womit wir in gastlicher Runde schon beim Thema waren: Welchen Beitrag kann/muss ein Verein, in dem Gewerbetreibende und Handwerker sich zusammengeschlossen haben, leisten, um eine Kreisstadt wie Groß-Gerau attraktiv(er) und damit ein Stück lebens- wie liebenswerter zu machen? Jörg Leinekugel, ein erfahrener, besonnen wirkender sowie kenntnisreicher Ehrenamtler (der zudem u.a. auch noch Obermeister der Uhrmacher-Innung ist, zu der in Südhessen allerdings nur noch 16 organisierte Uhrmacher zählen; mehr dazu siehe Kasten „Zur Person“), erklärt uns dies im Detail: „Ich fand es an der Zeit“, sagt er, dessen Tag auch nur 24 Stunden hat, „mich für den Gewerbeverein einzusetzen und das Innenstadtleben mitzugestalten und damit meinen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenleben zu liefern“.

Und wie sieht der im Einzelnen aus, frage ich. Seit vielen Generationen, sagt er, habe der Gewerbeverein „maßgeblich das Image dieser Stadt mitgeprägt“, in jüngster Vergangenheit vor allem u.a. mit Veranstaltungen wie Gewerbeschau, Weinfest, Weihnachtsmarkt, Autoschau, als Unterstützer der Stadt bei der Nacht der Sinne und dem Frühlingserwachen, früher auch mit dem Burggrabenfest.

Dann sprechen wir über „den anhaltenden Wandel“ innerhalb unserer Gesellschaft, über leerstehende Läden in einer Stadt („da liegt das Management allerdings bei der Stadt, genauer: beim Amt für Wirtschaftsförderung“) und natürlich über das sich veränderte Kaufverhalten bedingt durch den Online-Handel – und wie Gewerbetreibende vor Ort, also auch in der Kreisstadt, darauf zu reagieren hätten („Das Internet müssen wir als verlängertes Schaufenster begreifen und nutzen – die Geschäfte müssen sich digital aufstellen. Käufer werden anspruchsvoller, sind informierter. Wir müssen Kompetenz ausstrahlen.“). Die gute Nachricht: Die Kreisstadt sei mit ihrem WLAN-Projekt dabei, „die digitale Infrastruktur zu schaffen“. Das hätte man sich zwar „etwas zügiger gewünscht, aber wichtig ist, dass es nun realisiert wird“. Und auch hier zeigt sich Leinekugel optimistisch: „Wir sind in Groß-Gerau auf einem guten Weg“.

Die derzeit knapp 90 Mitglieder des Gewerbevereins, die zuständig seien, „dass die Wirtschaft hier läuft“, können also durchaus zufrieden sein mit der Arbeit ihres Vorstands. Natürlich gebe es einige Bereiche, in denen noch Überzeugungsarbeit zu leisten sei. So passe es z.B. nicht unbedingt zu einer Kreisstadt als Vorbild, dass einige Gewerbetreibende für eine Mittagspause den Laden schließen. Schließlich sei noch immer „bekanntlich der Kunde König“, und dies in Zeiten des zunehmenden Internethandels umso mehr. Und schließlich noch dies: Ab 23. April wird im Stadtmuseum in Zusammenarbeit mit dem Gewerbeverein die Ausstellung „Losst Euch gut belehre, kaaft Eier Sach in Gere!“ zu sehen sein, die „Einkaufen und Handel in Groß-Gerau seit 1900“ zeigt.

Als wir uns gegen Schluss unseres Tischgesprächs dann noch mit dem Rolle der Kultur in einer Kreisstadt beschäftigen, uns an die seinerzeit anlässlich einer Veranstaltungsreihe in der Groß-Gerauer Volksbank an die Kür einer „Kulturbotschafterin Gerauer Land“ erinnern und der Name Alexa Hurka fällt – meldet sich aus der Tiefe des Raumes tatsächlich „Alexa“, jene unsichtbare Dame aus dem Internet, die angeblich nahezu alle Wünsche erfüllen kann, und fragt, wo sie helfen könne.
Ich bin sicher, Jörg Leinekugel hat da sicher eine Idee.

Zur Person: Jörg Leinekugel, geboren 1961 in Groß-Gerau, verheiratet, zwei Kinder, ein Enkel; Mittlere Reife (PDS) in Groß-Gerau, 1977–1980 Ausbildung zum Uhrmacher (Staatlichte Uhrmacherschule Furtwangen), 1985 Meisterprüfung zum Uhrmacher; seit 1992 selbstständig, 2006 Obermeister der Uhrmacherinnung, ab 2015 Kreishandwerksmeister der Bergstraße und Vorstandsmitglied der Handwerkskammer Frankfurt Rhein/Main; seit 2018 Vorsitzender des Groß-Gerauer Gewerbevereines 1865 e.V.

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