Kein Platz für Rassismus
Von Ulf Krone.
Nach den Vorfällen in den USA steht das Problem Rassismus weltweit im Fokus. Auch in Deutschland haben wir weiterhin mit latentem Alltagsrassismus, einer Radikalisierung der politischen Rechten sowie steigendem Antisemitismus zu kämpfen. WIR-Redakteur Ulf Krone hat deshalb bei Pfarrer Wolfgang Prawitz vom Pfarramt für Ökumene im Evangelischen Dekanat Groß-Gerau – Rüsselsheim, der einer der Ansprechpartner beim Aktionsbündnis gegen Rechtsextremismus in Groß-Gerau ist, zum Thema nachgefragt.
Sie sind – stellvertretend für das Evangelische Dekanat Groß-Gerau – Rüsselsheim – einer der Ansprechpartner beim Aktionsbündnis gegen Rechtsextremismus Groß-Gerau. Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass Rassismus nach wie vor und scheinbar wieder verstärkt ein Thema ist?
Wolfgang Prawitz: Der Anlass für die weltweite Bewegung regen Rassismus war der brutale Mord an George Floyd. Die in den letzten Minuten seines Lebens immer wieder herausgepressten Worte „I can’t breathe“ – „Ich kann nicht atmen“ können ja gar nicht überhört werden. Aber ich sage bewusst: „der Anlass“. Denn tatsächlich ist Rassismus ein tief in unseren Gesellschaften verankertes Phänomen. Die Diskreditierung von politisch korrekter öffentlicher Rede auch in Teilen des bundesdeutschen Politikbetriebs hat diejenigen, deren Weltbild von einer angeblichen Überlegenheit der Deutschen geprägt ist – und gemeint sind damit beileibe nicht alle, die einen deutschen Pass haben – ihre menschenverachtenden Thesen immer lauter und frecher verkünden lassen. Es ist also kein neues Phänomen, aber es wird lauter, und es wird deutlicher wahrnehmbar. Umso wichtiger ist es, allen Formen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit immer wieder entschieden entgegenzutreten.
Weshalb schaffen es Menschen selbst in einer globalisierten Welt wie der unseren nicht, Verständnis, Toleranz und Respekt für andere, „Fremde“ aufzubringen?
Wolfgang Prawitz: Das fängt schon bei Sprache und Wortwahl an. Wenn ich von Verständnis, Toleranz und Respekt für meine Mitmenschen spreche, dann spreche ich auf Augenhöhe. Wenn ich aber von „Anderen“, gar von „Fremden“ spreche, dann errichte ich bereits Barrieren, die dann nur noch schwer zu überwinden sind. Respekt ist ja nicht etwas, was ich gegenüber „Anderen“ aufbringen müsste. Es ist eine Lebenshaltung, die von der Gleichwertigkeit aller Menschen ausgeht, und die gerade deshalb die bunte Vielfalt menschlichen Lebens wertschätzt. Um es biblisch auszudrücken: Die Gottesebenbildlichkeit der Menschen meint ja gerade nicht eine „Göttlichkeit“ bestimmter Menschen, sondern zielt auf menschliches Leben als gelingendes, kommunikatives Miteinander aller Menschen.
Erläutern Sie unseren Lesern einmal kurz, was das Aktionsbündnis gegen Rechtsextremismus ist und welche Ziele damit verfolgt werden!
Wolfgang Prawitz: Das Groß-Gerauer Aktionsbündnis gegen Rechtsextremismus hat sich gegründet, um deutlich zu machen: Groß-Gerau hat keinen Platz für Rassismus. Es tritt menschenfeindlichen Aktionen nazistischer Gruppierungen entgegen und hat zum Beispiel die Plakatwand entwickelt, die immer wieder mit dem Schlüsselwort „Respekt“ Groß-Gerauer Gesichter bereits an den Ortseingängen zeigt. Das Aktionsbündnis führt über 40 Organisationen und Institutionen und zahlreiche Einzelpersonen in ihrem Engagement für Mitmenschlichkeit und gegen Hassparolen zusammen.
Was raten Sie den Betroffenen, wenn es – wie zuletzt an der Bushaltestelle am Markt in der Kreisstadt – zu rassistischen Vorfällen kommt? Gibt es eine Anlaufstelle, an die sich Opfer oder Zeugen wenden können?
Wolfgang Prawitz: Die Betroffene hat das Richtige getan: Sie hat die Tat öffentlich gemacht. Denn solche Taten dürfen nicht geheim bleiben. Und es ist die Aufgabe von uns allen, dafür zu sorgen, dass Betroffene nicht allein bleiben. Sie brauchen unsere Solidarität – und wir können sie bei den nächsten Schritten begleiten. Sie sind nicht allein. Es ist gut, dass es auf der Internetseite des Landkreises Groß-Gerau einen Vorfall-Melder gibt (www.kreisgg.de/vorfall). Dort können unkompliziert von Betroffenen wie auch von Beobachtern rassistische und rechtsextreme Vorfälle gemeldet werden. Aber wir müssen diese Möglichkeit noch viel bekannter machen. Zusammen mit dem Kreisnetzwerk für Demokratie wollen wir daran arbeiten, dass der Vorfallmelder so bekannt ist, dass Betroffene jederzeit und überall im Landkreis wissen: Dort bekommen wir Unterstützung.
Was muss passieren, damit wir dieses Problem als Gesellschaft in den Griff bekommen? Oder ist die Abgrenzung gegenüber dem „Fremden“ – gerade in Krisenzeiten – Teil des menschlichen Wesens?
Wolfgang Prawitz: Ich bin davon überzeugt, dass Menschen im Grunde nach Gemeinschaft und Zusammenhalt streben. Wir sind soziale Wesen. Es sind zutiefst gestörte Gemeinschaftsverhältnisse, die manche Menschen Zuflucht in Ab- und Ausgrenzung nehmen lassen. Wir müssen uns klarmachen, dass die Abwertung anderer Menschen nur Ausdruck der jeweiligen eigenen Schwäche ist. Und wir müssen uns klarmachen, dass Rassismus nicht das Problem der Ausgegrenzten und Angegriffenen ist. Es ist das Problem der Täterinnen und Täter. Deshalb sind wir alle aufgefordert, uns immer wieder mit unseren eigenen Vorurteilen auseinanderzusetzen und für ein solidarisches Miteinander einzutreten.
Das Dekanat zeichnet auch für die Interkulturellen Wochen verantwortlich, die stets im Herbst stattfinden und der kulturellen Verständigung dienen sollen. Welche Auswirkungen wird die Corona-Krise in diesem Jahr auf die Veranstaltung haben?
Wolfgang Prawitz: Seit 2004 laden das Sozial- und Integrationsbüro der Stadt und das Evangelische Dekanat Groß-Gerau – Rüsselsheim dazu ein, „miteinander das Zusammenleben zu gestalten“. Ab dem 12. September gibt es wieder ein vielfältiges Programm dafür, vom Malwettbewerb zum Thema „Interkulturelle Vielfalt“ bis zum Engagement gegen Rassismus als besonderen Schwerpunkt 2020. Dabei stellen wir u.a. die Frage: „Wie können wir diskriminierungsfrei miteinander reden?“ Ein Höhepunkt wird der Auftritt des jüdischen Rappers Ben Salomo sein, der sich mit dem Antisemitismus dieser Musik-Szene auseinandersetzt.
Nach meiner Meinung hätte man durch eine Frage oder in einer beliebigen Antwort die Gelegenheit nutzen können, auch den 21.02.2020 einzubinden um daran zu erinnern das Rassismus in unserer Nähe viele Tote gefordert hat und zwar hier und nicht in der Ferne.